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Sport: „Wir wollen wie Manchester United werden“

Eisbären-Trainer Pierre Pagé über gute Unterhaltung, Mut zur Veränderung und die Zukunft des Eishockeys in Berlin

Herr Pagé, wir wollen über Visionen reden.

Schön, aber das dauert ein bisschen, und ich muss Sie darauf hinweisen, dass bald die Playoffs beginnen, wir haben also nur ein paar Tage Zeit – viel zu wenig für so ein großes Thema. Oder wollen wir uns auf Eishockey beschränken?

Lassen Sie uns klein anfangen, mit Ihrer Idee, ein Eishockeyspiel im ausverkauften Olympiastadion auszutragen.

Eine faszinierende Idee, oder? Das wird noch ein paar Jahre dauern, aber ich glaube daran. Berlin ist eine Stadt, die Motivation braucht. Eishockey ist mehr als Sport, auch mehr als Entertainment. Wir können Meister werden, aber wenn wir unsere Spieler und unsere Zuschauer lausig behandeln, dann heißt das gar nichts. Sport ist Begegnung von Menschen. Ich bin gerne in New York und liebe Broadway Shows. Da musst du als Regisseur gut sein, sonst treten sie dich aus der Stadt.

New York ist weit weg. Zurzeit arbeiten Sie in Hohenschönhausen und wohnen in Zehlendorf. Extremer geht es östlich und westlich kaum noch.

Ich höre die Unterschiede mehr, als ich sie sehe. Ich will da vorsichtig sein, weil ich mich wegen sprachlicher Schwierigkeiten noch im Stadium des Zuhörens befinde. Kürzlich habe ich der kanadischen Tageszeitung „Calgary Herald“ ein Interview gegeben. Da kam vieles falsch rüber. Trotzdem haben sie mir im Osten auf die Schulter geklopft und gesagt: Danke, dass du Dynamo erwähnt hast, da liegen unsere Wurzeln, das ist wichtig für uns. Im Westen bekomme ich immer noch ablehnende Stimmen zu hören, wenn ich von den Eisbären erzähle. Für viele ist das immer noch ein Stasi-Klub.

Der Eisbären-Vorläufer SC Dynamo Berlin war der Verein des Ministeriums für Staatssicherheit.

Wenn man das hart interpretiert, dann war es der Daseinszweck von Dynamo, die Offiziere von der Stasi zu unterhalten. Aber lassen Sie mir die Sicht eines Eishockeyfans: Wenn Dynamo damals das Eishockey in der DDR nicht am Leben gehalten hätten, würde es jetzt die Eisbären nicht geben.

Das ist eine sehr vereinfachte Interpretation der Geschichte.

Sehen Sie, ich habe viel mit ehemaligen DDR-Bürgern zu tun. Ich spreche oft mit Leuten, die mir gute Dinge über die DDR erzählen. Vieles wird da aber auch durch die fortschreitende Geschichte getrübt, und im Rückblick sieht ohnehin alles schöner aus. Für uns als Klub kann es nur heißen: Wir müssen gut sein, so gut, dass die Zuschauer bei uns nicht mehr so viel über Politik reden. Wir müssen Leute zusammenbringen, zum Lachen bringen. Eishockey ist Unterhaltung, und jede Unterhaltung bringt die Leute zum lachen. Die Leute kommen auch lachend aus dem Kino, wenn sie „Gangs of New York“ gesehen haben, obwohl dort zwei Stunden lang Menschen abgeschlachtet werden.

Lassen sich Sport und Politik wirklich so einfach trennen?

Meist geht das natürlich nicht, das beginnt im Eishockey schon bei den Mannschaften. Die ostdeutschen Spieler beschweren sich über die westdeutschen Spieler und andersrum. Das bekomme ich jeden Tag zu hören, und das mag ich nicht. Das habe ich in meiner Jugend viel zu oft erlebt.

In Kanada?

Natürlich. In Kanada ist das nicht Ost gegen West, sondern Französisch gegen Englisch. Ich komme aus Québec, der französischsprachigen Provinz, aus einer Kleinstadt, wo die eine Hälfte Englisch, die andere Hälfte Französisch spricht. 1969 wollte ich an der Universität von Montreal studieren. An den Wänden hingen überall Schilder: „Sprecht nicht Englisch!“ Nach einer Woche habe ich meine Sachen gepackt und bin nach Nova Scotia gezogen, an eine englischsprachige Uni. Dort habe ich eineinhalb Monate lang nichts verstanden, aber dann ging es. Und das war ein schönes Erlebnis, nicht mehr durch eine Sprache eingeschränkt zu sein. Ich hasse Einschränkungen!

Ihre größten Erfolge als Eishockeytrainer haben Sie in der englischsprachigen Provinz Alberta erlebt: bei den Calgary Flames, die unter Ihnen Ihre beste Zeit in der NHL erlebten.

Das hing zusammen mit unserem neuen Stadion, dem Saddle Dome, der für die Olympischen Winterspiele 1988 gebaut wurde. Davor hatten wir in einer Halle mit 7200 Plätzen gespielt, die war immer ausverkauft. Und dann zogen wir um in diese Riesen- Arena mit 17 000 Plätzen, und die Leute haben gesagt: Diese Halle kriegt ihr nie voll! Aber wir waren nicht nur ausverkauft, es standen auch noch 7000 Menschen vor der Halle, die keine Karte bekommen haben. Das war fantastisch!

Lassen Sie uns raten: Das ist Ihre Vision für die Eisbären!

Wenn die neue Arena am Ostbahnhof erst einmal steht, wollen wir vor 16 500 Zuschauern spielen. Das funktioniert, wenn die Marke Eisbären etabliert ist. Du musst den Leuten suggerieren, dass ein Spiel der Eisbären ein gesellschaftliches Ereignis ist. Es geht dann in Berlin nicht darum, die Halle ein- oder zweimal pro Saison ausverkauft zu haben, sondern bei jedem Spiel. Wir wollen das Manchester United des Eishockeys werden. Wir können sogar ein Modell werden für Amerika, weil wir neu und innovativ sind. Amerika ist sehr konservativ. So etwas kann eine Entwicklung behindern.

Wie sieht die Zukunft für das deutsche Eishockey aus?

Das deutsche Nachwuchsprogramm wird besser, aber es gibt noch viel zu tun. Viel größer ist der Mangel an Vorbildern, an Idolen, die Eishockey in Deutschland populärer machen. Wir brauchen mehr deutsche Nationalspieler in der NHL.

Zurzeit spielen sechs Deutsche in der NHL, so viele wie nie zuvor.

Sie meinen Leute wie den Jochen Hecht oder den Marco Sturm? Das reicht noch nicht. Wir brauchen einen deutschen Wayne Gretzky! Dann ist alles möglich, denn Eishockey ist ideal für die deutsche Mentalität, die sich durch Aggressivität und Arbeitswilligkeit auszeichnet. Wenn Deutschland gegen England im Fußball spielt, dann geht es aggressiver zu als in allen anderen Spielen, weil sich die aggressivsten Mentalitäten treffen. Es gibt nur wenige Länder, in denen man diese Mentalität findet. Australien wäre noch eines – aber dort ist es fürs Eishockey ein bisschen zu warm.

Bundestrainer Hans Zach hat die deutsche Nationalmannschaft international wieder salonfähig gemacht.

Das stimmt, und davor habe ich Respekt. Allerdings gefällt mir seine Philosophie vom Eishockey nicht besonders gut: zu defensiv, zu unattraktiv für die Zuschauer. Die in Deutschland praktizierte Zonen-Verteidigung ist ein großes Problem, sie behindert jedes Talent und lockt keine neuen Fans an. Das ist nicht nur im Eishockey so. Schauen Sie sich die italienische Fußball-Nationalmannschaft an. Was Trainer Giovanni Trapattoni da machen lässt, gehört verboten!

Sie haben bei den Eisbären Ihr sehr offensiv ausgerichtetes System nach ein paar Monaten mitten in der Saison auch schnell der deutschen Realität angepasst.

Wir mussten etwas ändern, weil wir zu berechenbar wurden. Wir trainieren nun verschiedene Systeme, um in den Play-offs variieren zu können. Es ist schwierig, wenn man versucht, innovativ zu sein. Das ist wie bei einem Künstler, der muss auch damit rechnen, dass nicht jedem seine Kunst gefällt. Da sind wir wieder bei der Vision angelangt: Wer sich bewegen möchte, etwas versucht, hat es schwer.

Kanada, Tschechien, Schweden – welche Eishockey-Nation ist zurzeit am weitesten?

Finnland! Es ist hart für einen Kanadier, aber die Finnen sind uns 15 Jahre voraus. Die spielen in der Nationalmannschaft ohne die traditionellen Muster Verteidiger und Stürmer. Alle fünf Spieler rotieren auf allen Positionen. Finnland gehört die Zukunft, auch wenn es noch kaum einer merkt. Visionen brauchen eben Geduld.

Das Gespräch führten Sven Goldmann und Claus Vetter.

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