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Wissenschaftliche Erkenntnisse: Laufen ist wie Beten

Beim Joggen machen Menschen nachweislich spirituelle Erfahrungen – dafür gibt es sogar eigene Trainer.

Berlin - Was wird an diesem Sonntag durch 30 000 Köpfe gehen, während 60 000 Beine durch Berlin laufen? Mehrere Stunden werden sie beschäftigt sein beim Marathon, es gibt viel zu verarbeiten, wie die Stadt aussieht, was die Zuschauer rufen, wie sich der eigene Körper anfühlt. Wenn nicht gerade ein großer Wettbewerb wie der Berlin-Marathon ansteht mit seinen vielen Eindrücken, können Menschen beim Laufen sogar spirituelle Erfahren machen, dafür gibt es wissenschaftliche Beweise.

Ob Laufen Beten ist, das hat sich Stephan Schneider von der Deutschen Sporthochschule in Köln gefragt. „Es geht in beiden Fällen um eine Auszeit von der Welt“, sagt Schneider, der sowohl evangelische Theologie als auch Sport studiert hat. Er hat Läufer und Betende mit wissenschaftlichen Methoden untersucht und unter anderem Hirnströme gemessen. „Beide können vergleichbare Erfahrungen machen“, lautet sein Ergebnis, „es werden die gleichen Hirnareale aktiviert, Stressparameter nehmen ab, die Menschen fühlen sich besser“. Betende gaben an, ihren Körper besser wahrzunehmen, Läufer berichteten über Bewusstseinserweiterung – Beten hat also auch eine körperliche Wirkung und Laufen eine geistige.

Laufen kann Beten nicht ersetzen, sagt Schneider, gerade nicht, wenn es um ein Notgebet gehe oder ein Trauergebet, aber es könne für spirituelle Erlebnisse genutzt werden. Loslaufen, unterwegs mit der Umwelt verschmelzen, sich in Trance versetzen – Laufen als bewegte Meditation. Beim Laufen, so zeigen Erfahrungsberichte, verknüpfen Menschen ihre Gedanken auf ganz andere Art, sie finden zu sich selbst. Schneider wünscht sich, dass die Kirchen Laufen nutzen und die spirituelle Dimension der Bewegung nicht sogenannten „Lauf-Päpsten“ überlassen.

Es gibt inzwischen immerhin Adventsläufe, Pilgerläufe, „da ist längst das Körperliche überschritten, da geht es nicht mehr um Fitwerden oder Abnehmen“, sagt der österreichische Coach und Erlebnispädagoge Winfried Hofer. Er hat daher Lehrgänge entwickelt zum „diplomierten spirituellen Laufcoach“. Dieser Laufcoach soll seine Läufer behandeln wie Kunden, die sich ein Ziel vornehmen, meistens ist es, zu sich selbst zu finden, persönliche Probleme zu lösen, eigene Talente zu entdecken. „Der individuelle spirituelle Zustand ist letztlich das Ziel“, sagt Hofer, der sein Konzept unter anderem auf Ergebnissen der Hirnforschung und der Psychologie aufbaut und sich damit abgrenzen will von Esoterik und Wellness.

Dafür gibt es verschiedene Laufformen, am Anfang steht der Balancelauf, der körperliche Grundlagen legt, damit die Läufer sich nicht mehr auf ihren Körper und ihre Puste konzentrieren müssen. Es schließt sich der Präsenzlauf an, bei dem die Läufer sich im Kopf mit Impulswörtern oder ganzen Texten beschäftigen, und gipfelt im Explorationslauf, bei dem sie versuchen sollen, sich leer zu laufen. Alle schlechten Gedanken, die dann noch im Weg sind, können eine Spur sein, wo der Coach mit seinem Laufkunden weiterarbeiten sollte.

Spirituelles Laufen ist nicht nur für religiöse Menschen gedacht. Um beim Laufen loslassen zu können, ist allerdings eine Grundfitness nötig. „Spirituelles Laufen passiert eher bei Menschen, die etwas trainierter sind“, sagt Hofer. Also eine Stunde durchhalten können. Zu viel zu laufen kann dagegen schaden. „Wer mehr als drei Mal in der Woche joggt, läuft manchmal in eine Laufsucht-Spirale hinein. Da steht Leistung im Vordergrund und Glücksgefühle verschwinden“, sagt Hofer. In der Gruppe zu laufen kann ein schönes Erlebnis sein, aber spirituelles Laufen ist meist nur alleine möglich, mit dem eigenen Rhythmus. Dann kann es so genutzt werden, wie es sich Hofer vorstellt: „Laufen bringt uns aus eigener Kraft schneller zur Entdeckung neuer Möglichkeiten.“

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