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Sport: WM 2006: Arbeitsfrühstück morgens um fünf - Blatters letzter Versuch, Stimmen für Südafrika zu sichern, scheitert

Deutschland kann im Fußball doch noch gewinnen. Mit 12:11 Stimmen, dem knappsten aller Ergebnisse, entschied die Delegation des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) den Kampf um die Weltmeisterschaft 2006 in der dritten Runde gegen Südafrika, nachdem zuvor Marokko und England ausgeschieden waren.

Deutschland kann im Fußball doch noch gewinnen. Mit 12:11 Stimmen, dem knappsten aller Ergebnisse, entschied die Delegation des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) den Kampf um die Weltmeisterschaft 2006 in der dritten Runde gegen Südafrika, nachdem zuvor Marokko und England ausgeschieden waren. Als ganz großer Sieger strahlt nun Franz Beckenbauer übers Bundesligaland. "Er hat einen phantastischen Job gemacht", lobte Karl-Heinz Rummenigge, einer der WM-Botschafter, das Zugpferd der Kampagne. Die Taktik, freundschaftliche Beziehungen zu den 24 Mitgliedern des Exekutiv-Komitees aufzubauen, war letztlich aufgegangen.

Doch gleich nach seiner Fußball-Lichtgestalt sollte Deutschland einem älteren Herren vom anderen Ende der Welt danken. Ohne Charles J. Dempsey, den 78-jährigen Präsidenten des Ozeanien-Verbandes, hätten gestern Nachmittag nicht die Deutschen gejubelt. Mister Dempsey aber, ein treu dem Commonwealth-Gedanken ergebener Mensch, hatte sich, nachdem England ausgeschieden war, der Stimme enthalten - worauf es nicht mehr zum Unentschieden kommen konnte. Was dann passiert wäre, war auch jedem klar. In der Verlängerung hätte die Stimme des von Joseph Blatter, des Präsidenten des Weltverbandes Fifa, doppelt gezählt: zum 13:12 für Südafrika.

Als sich der Schweizer Patron des Weltfußballs vom Wahllokal hoch überm Zürichsee auf den Weg gemacht hatte herunter in die Messehalle, war ihm die Nachricht, die er in einem versiegelten Umschlag mit sich trug, schon vorausgeeilt. Dass Deutschland der Gewinner und der Fifa-Chef der große Verlierer war, konnte man auch dem Gesicht des Schweizer Sportführers ansehen. Erst recht der Art, wie Blatter den greisen Sportskameraden Jack Dempsey bloßstellte. Die Wahlen des Fifa-Exekutivkomitees erfolgen nämlich geheim, Blatter aber brauchte einen, dem er öffentlich die Schuld an der Niederlage Südafrikas anlasten konnte. Ein Skandal.

Wie zuletzt bei allen wichtigen Entscheidungen der Fifa war der Kampf in der Nacht entschieden worden. Schon vom Nachtessen der 24 Wahlmänner im Grand Hotel Dolder drangen die ersten positiven Signale hinunter auf die Gartenterasse der Nobelherberge "Eremitage", dem Hauptquartier der deutschen Delegation. Droben auf dem Zürichberg war Alfons Schmid, dem altgedienten Sicherheitsmann des DFB, vom Komitee-Mitglied Dr. Leoz mitgeteilt worden, dass das Spiel sehr gut liefe für die Deutschen. Der Sozialwissenschaftler aus Paraguay hatte sich zu diesem Zeitpunkt schon längst für die alten Freunde in Frankfurt entschieden. Als der Herr vom Personenschutz aber weiterhin auf Pessimist machte ("morgen wird ein trauriger Tag für den Deutschen Fußball") stieß Fifa-Generalsekretär Zen Ruffinen zur Diskussionsrunde: "Spinnst du, Schmid, ihr habt die besten Karten."

In Gefahr geraten ist die deutsche Sache dann ein letztes Mal in den frühen Morgenstunden, als Fifa-Präsident Joseph Blatter das Ding noch einmal drehen wollte. Um fünf Uhr bat er die vier asiatischen Vertreter zum Arbeits-Frühstück in seine Suite. Mindestens einer aus dieser Allianz sollte noch ausscheren, dann wäre nach der ersten WM in Asien 2002 auch das erste Weltturnier auf dem schwarzen Kontinent geritzt gewesen. Blatters Appell an die Solidarität gegenüber Afrika und sein Plädoyer für die globale Entwicklung des Fußballs drehten Dr. Mong Joon-Chung (Südkorea), Abdullah Al Dabal (Saudi-Arabien), Mohammed Bin Hammam (Katar) und Worawi Makudi (Thailand) aber nicht mehr um. Kurz vor zwölf verscheuchte DFB-Sprecher Wolfgang Niersbach diese Bedenken vollends: "Die Asiaten stehen wie eine Eins."

Dazu hatte auch, wie gerüchteweise durchdrang, Bundeskanzler Schröder seinen Anteil geleistet. Der erste Mann der Nation war nicht nur als Daumendrücker nach Zürich geflogen, er erklärte dem Unternehmer Chung noch mal die Wünsche, die man an Leute hat, mit denen man auf wirtschaftlicher Ebene so gut zusammenarbeitet wie in dem Joint Venture zwischen Daimler/ Chrysler und Hyundai, dem Familien-Konzern der Chungs.

Mit Mong Joon-Chung, seinen drei Konföderationsfreunden sowie dem europäischen Verband als Hausmacht des DFB kam eine Allianz zusammen, von denen Blatter hinterher zwei Partner (DFB, Uefa) als "Giganten" bezeichnet hat. Er tat dies, um die Afrikaner zu trösten, dass sie höheren Kräften unterlegen seien. "Wir dürfen nicht aufgeben, für Afrika zu kämpfen. Die Zeit ist reif für eine WM in Afrika." Wie Gebete kamen Blatters Worte von der Bühne. Doch nicht nur die südafrikanische Bewerber-Mannschaft braucht nun Hoffnung - auch der Schweizer Schutzheilige der Männer vom Kap. Denn Mong Joon-Chung wird schon bald eine noch gefährlichere Rolle für Joseph Blatter spielen.

Beim Fifa-Kongress im Juni 2002 will der Koreaner sein Heimspiel nutzen und Blatters Nachfolger werden. Blatter hatte die Kandidatenkür um die Weltmeisterschaft 2006 zu einer sportpolitischen Geschichte gemacht, und auch noch mitgemauschelt beim Verzicht Brasiliens, der einzig und allein Blatters südafrikanischem Wunschtraum gedient hat. Doch ganz aufgegangen ist sein Spiel nicht, weil nun auch auf dieser Ebene des Fußballs wieder jene Gesetze gelten, die der Engländer Gary Lineker einst formulierte: "Fußball ist ein Spiel mit zwei Mannschaften, und am Ende gewinnen immer die Deutschen."

Die müssen sich nun erst mal erholen von dem Spiel, das so viel Emotionen gekostet hat. Die brachen zum ersten Mal kurz nach Mittag aus, als Pressechef Niersbach seinen nächsten Teamchef Rudi Völler gerührt in die Arme schloss. Dem inoffiziellen Jubel sollte zwei Stunden später das Zitat des Tages folgen. "Das ist die größte Herausforderung meines Lebens", sagte Franz Beckenbauer, "die WM organisieren zu können, ist höher zu bewerten als die Titel, die ich als Spieler und Trainer gewonnen habe."

Martin Hägele

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