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Sport: Wo bleibt die Lust?

Borussia Dortmund ist so schlecht in die Saison gestartet wie kein Meister seit 1984. Fünf Gründe für die Krise

Acht Punkte beträgt der Abstand zum FC Bayern München – nach sechs Spieltagen. Das ist happig. Borussia Dortmund ist nach der jüngsten 1:2-Niederlage gegen Hannover, der dritten in dieser Saison, auf Platz elf in der Tabelle gefallen. Schlechter ist seit 1984 kein Deutscher Meister in die Bundesliga gestartet. Damals war es der VfB Stuttgart, am Ende wurden die Schwaben Zehnter. Für die aktuelle Meistermannschaft des Dortmunder Trainers Jürgen Klopp erscheint die Titelverteidigung schon fast utopisch. Was sind die Gründe für den Fall ins Mittelmaß?

Dem Meister fehlt die Gier

Das jedenfalls sagt Klopp: „Uns hat die Konsequenz und Gier gefehlt.“ Oliver Kahn, der frühere Bayern- und Nationaltorwart drückt das mit anderen Worten aus. Eine Spielzeit lang sei den Dortmunder Spielern „Adrenalin pur“ durch die Adern gerauscht. Auf einen solchen Rausch folge „bedauerlicherweise aber meist ein gewaltiger Kater – im Kopf und in den Beinen“. Für Kahn sei es nahezu ausgeschlossen, „denselben Enthusiasmus weiterzuleben und den Adrenalinrausch aufrechtzuerhalten“. Fakt ist, dass die Dortmunder, die mit einem beeindruckenden Sieg über den Hamburger SV in die neue Saison gestartet waren, seit einem Monat (20. August: 2:0 über Nürnberg) auf einen Pflichtspielsieg warten. Demgegenüber stehen drei Niederlagen, so viele, wie Dortmund in der vorangegangenen Meistersaison erst nach 26 Spieltagen zu verzeichnen hatte. Zweifel kommen auf, Zweifel können die Konzentration rauben. Haben sie den Meister ins Wanken gebracht? Es sind in allen Belangen die berühmten Prozentpünktchen, die fehlen. „Uns fehlte am Ende nicht die Kraft, sondern die Konzentration“, sagte Marcel Schmelzer. Der Nationalverteidiger musste ebenso ausgewechselt werden wie Mats Hummels. Als auch noch dieser Nationalspieler vom Platz musste, führte Dortmund noch. Kurz darauf patzte sein Nebenmann Neven Subotic zweimal, Hannover drehte kurz vor Abpfiff innerhalb von 116 Sekunden das Spiel. Der Kroate Subotic, in der Vorsaison einer der stärksten Innenverteidiger, patzte auch schon in der Vorwoche gegen Hertha (1:2).

Borussias Unerfahrenheit

Diese Niederlage fühle sich „fies“ an, war von Klopp zu hören, vielleicht sei das ja gut, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen, meinte der Trainer. Die Dortmunder haben ein gutes Auswärtsspiel in Hannover geboten. Sie waren in Führung gegangen und den Niedersachsen bis zur 75. Minuten in allen Belangen überlegen. Wenn Kevin Großkreutz seine Chance zum 2:0 genutzt hätte, wäre Dortmund auf Platz sechs geklettert und von einer Krise keine Rede mehr. So aber werden alle und alles infrage gestellt von der Öffentlichkeit. Die Mannschaft ist unerfahren im Umgang mit Niederlagen. Noch nie hatte sie eine Krise zu bewältigen, so jung wie sie ist. Oder ist das jetzt alles nur eine Delle? Niemandem ist entgangen, dass den Dortmundern das intensive, das lustvolle, das überschwängliche und fast schon verschwenderische Spiel der Vorsaison verloren gegangen ist. Mit Ansage vielleicht?

Dortmund hat nicht nachgerüstet

Es sei eine bewusste Entscheidung gewesen, im Sommer nicht viel in neues Personal zu investieren. Man wollte die Struktur des erfolgreichen, jungen und entwicklungsfähigen Kaders nicht torpedieren, lautete ein Argument. Zudem habe es wenig Verbesserungsmöglichkeiten gegeben. Das schwarz-gelbe Gebilde funktionierte. Es ließ die wenigsten Gegentore zu (22) und erspielte die meisten Siege (23). Die eigentliche Transferleistung bestand darin, Leistungsträger wie Götze und Hummels gehalten zu haben. Nur Nuri Sahin ging verloren, für neun Millionen Euro. Für dieses Geld wurden Ilkay Gündogan (Nürnberg) und Ivan Perisic (Brügge) geholt, zwei überaus veranlagte Spieler. Aber reicht das für die neue Zusatzbelastung Champions League? Auffallend auch: Keiner aus dem halben Dutzend Neuzugänge ist älter als 22 Jahre. Ein möglichst niedriger Altersdurchschnitt scheint zum Prinzip zu werden bei Jürgen Klopps Team. Doch nicht jeder schlägt sofort ein, mancher braucht noch Zeit zur Entwicklung. Zudem fehlten dem BVB gegen Hannover verletzungsbedingt auch noch der oft unterschätzte Sven Bender sowie der gesperrte Wunderknabe Mario Götze.

Das Loch im Sturm

In Sahin mag Dortmund die zentrale, gestaltende Figur an Real Madrid verloren haben. Und Gündogan mag noch nicht die prägende Gestaltungshoheit im Dortmunder Spiel besitzen. Weit schwerer aber wiegt der lange Ausfall von Lucas Barrios. Der Torjäger, der in der Vorsaison 16 Treffer erzielt hat, wird nicht nur als Vollstrecker vermisst. Für das temporeiche, vertikale und auf Passsicherheit angelegte Spiel der Dortmunder in der Vorsaison brauchte es einen immer anspielbereiten Spieler in der offensiven Linie. Diese Rolle füllte der Südamerikaner perfekt. Er ist auf dem linken wie rechten Fuß anspielbar, selbst ungenaue wie halbhohe Pässe wusste er meist noch zu verarbeiten. Vor allem für den laufstarken Großkreutz und den dribbelstarken Götze war er in der Spitze unverzichtbar. Sein Ersatz, der Pole Robert Lewandowski, kann es nicht mit einer gegnerischen Viererkette aufnehmen. Während es Dortmund in der Meistersaison noch schaffte, den damaligen Ausfall des Japaners Shinji Kagawa in fast der gesamten Rückrunde durch Begeisterung aufzufangen, so gilt das nicht für Barrios. Gut deshalb: Er wird in den kommenden Tagen zurück im Mannschaftstraining erwartet.

Ablenkung Champions League

„Wir müssen wieder zu der totalen Hingabe und Leidenschaft zurückfinden, die wir gegen Arsenal gezeigt haben“, sagt der Dortmunder Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. „Bundesliga ist unser tägliches Brot.“ Die Gegner würden besonders gegen den Meister alles geben. Das ist keine neue Erkenntnis, „aber darauf müssen wir uns einstellen“. Letzteres ist offenbar schwerer als gedacht. Die Champions League ist momentan gedanklich einfacher für die Dortmunder. Dort sind sie nicht in der Rolle des Gejagten, sondern in der des Jagenden, so wie in der vergangenen Bundesligasaison. Diese Rolle liegt ihnen. In der Bundesliga, gegen Hannover, stellten die Dortmunder das progressive Fußballspielen förmlich ein, besonders das aggressive Anlaufen gegen Ball und Gegner. Von einer unwiderstehlichen Vorwärtsverteidigung war damals die Rede. Gegen Hannover war zu sehen, wie sich die Dortmunder Mittelfeldspieler zurückfallen ließen und die Gastgeber nicht schon in deren Hälfte attackierten. Warum? Aus Angst, etwas zu verlieren. Ein untypisches Verhalten für diese Meistermannschaft. Es unterstreicht nur, dass sie bereits etwas verloren hat.

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