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Sport: Wo die wilden Kerle fliegen

Ein Leben zwischen Athlet und Comicheld: In Berlin tourten die Wrestler mit ihrer Sport-Seifenoper

Von Christian Hönicke

Berlin - Adam Copeland streicht sich durch die blonde Mähne. „Ich bin mit Comicbüchern und Superhelden aufgewachsen“, sagt der Kanadier. „Als ich das erste Mal Wrestling sah, dachte ich: Wow, die sind wie Spiderman, aber die sind echt. Die kann man sehen und anfassen. Von da an wollte ich unbedingt mein eigener Superheld werden.“ Jetzt heißt Copeland nur noch „Edge“.

Am Donnerstag flog Edge durch Berlin. Zum Auftakt der Europatour der Wrestling-Liga WWE führte er in der Arena am Ostbahnhof gemeinsam mit den anderen Comicathleten die Sportoper um Helden und Schufte auf. Für Menschen, die sich an der rauen Schönheit von Muskelkolossen erfreuen können, die perfekt orchestriert durch den Trampolin-Ring und über und durch die Seile springen. Wrestling ist eine Mischung aus Ringen, Judo und Jiu-Jitsu, und wer genau hinsieht, kann auch Turnen, Gewichtheben und Tanzen entdecken. Und Gemeinsamkeiten mit dem modernen Fußball: Wer es weit bringen will, muss ein glaubwürdiger Schauspieler sein. In speziellen Schulen lernen die angehenden Heroen allerlei Techniken, um sich gegenseitig durch die Luft zu wirbeln, vor allem aber das effektvolle wie harmlose Fallen auf den knallenden Trampolin-Ring.

Jedes Kind weiß heute, dass sich die Akteure nicht wirklich schlagen und dass der Sieger schon vorher feststeht. „Die Leute sind jetzt aufgeklärt durch das Internet“, sagt Copeland. Früher wurde darum noch ein Geheimnis gemacht, „inzwischen betonen wir, dass wir kein echter Sport sind sondern Unterhaltung. Aber das haben die Leute doch schon immer geahnt.“ Heute sind die Leute elementarer Teil der Inszenierung. Anfeuerungen und Beschimpfungen werfen die Fans, ob Berliner Punk oder sächsischer Kleinstädter, auf Englisch in den Ring, wie sie es aus dem Fernsehen kennen. Zwischendurch fliegt ein weißer Klumpen nach einem Tritt durch die Luft. Ein Zahn? „Nein, der blutet nicht“, ruft ein Kind, „das muss ein Kaugummi sein.“ Adam Copeland lächelt gequält. „Viele denken, es gibt gar keinen Kontakt.“ Er deutet auf seine gerichteten Schneidezähne. „Aber man kriegt schon was ab, und zwar öfter, als man denkt.“

Einen „Fonduetopf der Unterhaltung“ nennt Copeland seinen Beruf. „Wir werfen von allem ein bisschen rein: Athletik, Drama, Geschichten, Explosionen, Musik, verschiedene Charaktere.“ Das zentrale Motiv ist Gut gegen Böse, der ewige Kampf. Zu den Lieblingen zählen dabei Rey Mysterio, ein nur 1,60 Meter großer Irrwisch mit Maske, und John Morrison. In Berlin erscheint Letzterer in Fellstiefeln, Glitzerhose – und im Trikot der örtlichen Eishockeymannschaft. Offenbar hat ihn niemand mit der aktuellen Lage im deutschen Eishockey vertraut gemacht. Das Publikum bejubelt ihn trotzdem, Sieger im Eisbären-Dress gab es am Ostbahnhof zuletzt ja nicht mehr zu bewundern.

Der Strippenzieher der Kampfmarionetten ist der Medienunternehmer Vince McMahon. Ihm gehört die WWE, die er seit Anfang der 80er zu einem weltweit operierenden Entertainmentunternehmen mit fast 400 Millionen Euro Jahresumsatz gemacht hat. McMahons Drehbuchschreiber bestimmen, wer Gut und Böse ist und wer die Titel gewinnt. Die Botschaften sind dabei ähnlich leicht verständlich wie in einer Vorabendserie. „Ich bin der Beste“, liest Fiesling Drew McIntyre den Berlinern in gebrochenem Deutsch von einem Zettel vor. „Ich hasse euch alle.“

Die beliebtesten der Fleisch gewordenen Comichelden erhalten Millionengagen, dafür wird ihnen auch einiges abverlangt. Wie bei allen Zaubershows bekommt das Publikum von der nüchternen Wirklichkeit hinter der Bühne kaum etwas mit. Mit Mickey Rourke im Film „The Wrestler“, einem abgewrackten und sozial isolierten Drogenjunkie, wollen die Showringer aber nicht assoziiert werden. Der Film thematisiere einige Probleme des Wrestlings, gibt Bret „The Hitman“ Hart zu, ein Idol der 90er Jahre. Insgesamt aber sei er ein „unausgewogenes Porträt, ohne Respekt für unsere Kunst“. Traditionelle Sportarten „haben eine Saisonpause, wir sind 300 Tage im Jahr unterwegs“, sagt Hart. Kein Wunder, dass die Wrestler eine eigene Familie bilden. „Fast alle, die ausbrechen wollten, sind zurückgekehrt, weil sie nicht wissen, wie sie es in der Außenwelt schaffen sollen.“ Auch Bret Hart ist wieder dabei, um in einem der „Mini-Filme“ mitzuspielen, wie er selbst die Wrestling-Matches nennt.

In Berlin tritt der inzwischen 52 Jahre alte Hitman unter dem Jubel der Zuschauer zum letzten Match in die Halle. Richtig kämpfen kann er schon lange nicht mehr, ein schwerer Treffer am Kopf hat einst seine Karriere beendet. Aber jetzt darf er seinem Landsmann Edge noch einmal dabei helfen, den Bösewicht Jack Swagger zu vermöbeln. Kurz darauf hält Edge seinen Gürtel hoch, die Fans sind glücklich mit ihrem Happy End. Am nächsten Tag fliegen Edge und die anderen schon wieder in die nächste Stadt. Superhelden haben keinen Urlaub.

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