zum Hauptinhalt

Sport: Wo Sauerstoff knapp wird

Heute erreicht die Tour den Col du Galibier

Courchevel - Seit 1949 steht ein Gedenkstein hinter einer Tunnelausfahrt auf dem Col du Galibier. Er erinnert an den Tour-de-France-Erfinder Henri Desgrange, und wer bei der aktuellen Rundfahrt als Erster dieses Denkmal erreicht, erhält 5000 Euro. Henri Desgrange schrieb 1911, als der Galibier zum ersten Mal in das Streckenprofil der Tour aufgenommen wurde: „O Col Bayard, o Tourmalet – gegen den Galibier seid ihr blass und ein schlechter Wein.“

Heute auf der elften Etappe ist der 2645 Meter hohe Galibier wieder der höchste Berg bei der Tour. Dramen haben sich hier schon abgespielt, wo die Temperaturen unter Null sinken, Schnee schon mal die Passage verhindert, und der Sauerstoff knapp wird. Nur der Iseran (2770 Meter) und die Bonnette (2802 Meter) waren in 92 Jahren Tour höher, allerdings standen sie nur selten auf dem Programm. Heute erklimmen die Radrennfahrer zum 54. Mal den Berg der Wahrheit. Für Jan Ullrich wird es womöglich sogar noch schwieriger als auf der gestrigen Etappe, auf der er schon über zwei Minuten auf Lance Armstrong verlor.

Denn mit dem Namen Galibier verbindet Ullrich ein persönliches Drama. Hier trug er vor sieben Jahren letztmalig das Gelbe Trikot. Wenn der Kapitän des T-Mobile-Teams heute die 17,5 Kilometer mit einer durchschnittlichen Steigung von 6,9 Prozent hinaufklettert, dürfte er sich an das Leiden von 1998 erinnern. Fast neun Minuten verlor er damals auf Marco Pantani und musste das Gelbe Trikot abgeben. „Zehn Kilometer vor dem Pass hatte ich zum letzten Mal gegessen“, schildert Ullrich in seiner Biografie. „Den ganzen Tag über war es unangenehm kalt. Dann setzte Eisregen ein. Ich war innerhalb weniger Minuten bis auf die Haut durchnässt. Spätestens auf dem Galibier hätte ich meine Regenjacke anziehen müssen. Ach was, dachte ich. Nass bin ich sowieso.“

Ullrich hatte offenbar nur die Aufholjagd auf Pantani im Kopf. Der Italiener aber war auf dem Galibier abgestiegen, um sich eine Jacke anzuziehen. Ullrich hingegen fror auf der 40 Kilometer langen Abfahrt. „Meine Hände waren so klamm, dass ich kaum noch steuern konnte. Ich zitterte dermaßen vor Kälte, dass ich dachte, mein Rahmen sei gebrochen, so sehr wackelte er.“ Zur Kälte kam Pech. Auf der Ebene hatte er einen Platten. In strömendem Regen musste er auf den Mannschaftswagen warten. Den Zielanstieg nach Les Deux Alpes quälte sich der frierende und hungernde Jan Ullrich hoch. „Wie ich diesen Berg hinaufgekommen bin, weiß ich nicht mehr. Ich hatte nicht mehr die geringste Kraft zum Treten.“

Nicht jeder hat so viel Respekt vor diesem Berg wie Ullrich. „So toll ist der Galibier doch nicht“, sagt Patrik Sinkewitz vom Team Quick Step, der zusammen mit seinem Teamgefährten Michael Rogers den mythischen Berg im Training erstmals hoch geklettert war. „Wenn der Anstieg richtig beginnt, ist man ja schon in 1700 Meter Höhe, der Nufenen in der Schweiz ist genauso schwer. “ Doch Training und Tour sind zwei verschiedene Übungen. Mal sehen, was Sinkewitz heute Abend sagt.

Hartmut Scherzer

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false