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Sport: Wunder, Teil fünf

Warum Werder an ein Weiterkommen im UI-Cup glaubt

Bremen. Es ist Mittwoch, der 4. November 1987. Feucht und kalt zieht der Nebel vom nahen Fluss über das Weserstadion. 20 000 Zuschauer sind gekommen, nur 20 000, denn die ARD überträgt live. Peter Jensen sitzt am Mikrofon. Schon nach zehn Minuten hat der dröge Norddeutsche zweimal ausgerufen: „Tor für Werder!“ Zweimal bezwingt Frank Neubarth den Moskauer Torwart Rinat Dassajew. Aber zwei Tore reichen nicht; Werder Bremen hat das Hinspiel in der zweiten Runde des Uefa-Pokals 1:4 in Moskau verloren. Die erste Partie war ein Debakel.

An diesem Mittwoch hat Trainer Otto Rehhagel drei Stürmer und in Thomas Schaaf über rechts und Frank Ordenewitz über links eine wahre Flügelzange aufgeboten. Sie packt immer wieder zu. Bald steht es 3:0. Der Nebel hängt zäh im Stadion, die Zuschauer befürchten Spielabbruch. Von der Mittellinie kann man die Tore nicht mehr sehen. Schiedsrichter Sandoz lässt weiterspielen. Es geht beim 4:1 in die Verlängerung. Als Riedle sich hoch schraubt und zum 5:1 trifft, sprechen die ersten Zuschauer vom „Wunder von der Weser“. Das Endergebnis lautet 6:2. Rehhagel und seine Mannen laufen eine Ehrenrunde. Kaum jemand kann sie erkennen. Bis ins Jahr 2003 werden die Werder-Historiker noch drei weitere Wunder dokumentieren.

Das 6:2 des SV Werder vor mehr als 15 Jahren hat den Fußball-Wunderglauben der Bremer begründet. Öfter als in jeder anderen Arena gab es im Weserstadion Europapokalspiele, von denen noch Jahre später gesprochen wurde. Das ist einer von zwei Gründen, warum man bei Werder ziemlich zuversichtlich in das Rückspiel heute im UI-Cup gegen den FC Superfund Pasching geht. Zuversichtlich wegen der Fußballhistorie, selbstbewusst wegen des 3:0 in der Bundesliga am Samstag bei Hertha BSC. Nun ist Pasching nicht Moskau, der UI-Cup nicht der Uefa- Cup. Aber es fällt doch auf, wie viele der Werder-Profis sich bei ihren Aussagen vor dem Spiel gegen die Österreicher aus der Nähe von Wien auf ein mögliches fünftes „Wunder von der Weser“ berufen.

Und das trotz (oder gerade wegen) des blamablen 0:4 am vergangenen Mittwoch – einen solchen Rückstand hat nämlich noch keine Werder-Mannschaft wettgemacht. Kapitän Frank Baumann sagt: „Wenn wir weiterkommen wollen, brauchen wir ein Wunder. Also, wer noch nie eines an der Weser erlebt hat, sollte gegen Pasching ins Stadion kommen.“ Beim vorerst letzten Mirakel war Baumann sogar dabei. In der dritten Runde des Uefa-Pokals 1999/2000 hatte Werder das Hinspiel bei Olympique Lyon 0:3 verloren, siegte im Rückspiel dann 4:0 und kam weiter. Claudio Pizarro schoss das entscheidende Tor.

Aus Bremer Sicht war der Einzug in die zweite Runde des Landesmeister-Wettbewerbs 1988/89 noch wunderbarer. Als Deutscher Meister ging Werder 0:3 beim DDR- Meister BFC Dynamo im Berliner Jahnsportpark unter, ganz Bremen schämte sich. Doch die Meisterspieler von Otto Rehhagel hatten sich nicht aufgegeben. Schon beim Einlaufen rief der kleine Günter Hermann den Berlinern zu: „Ihr kriegt heute fünf!“ So kam es auch. Hermann und Norbert Meier spielten den Gegner schwindelig, Riedle traf zum vorentscheidenden 4:0. Eine „Gruppe ängstlicher Staatskicker“ sei der BFC gewesen, schrieb damals der „Weser-Kurier“.

Trainer Schaaf war zweimal dabei

Das dritte Werder-Wunder dauerte nur eine Halbzeit. 0:3 stand es nach 45 Minuten im zweiten Gruppenspiel der Champions- League 1993/94 zwischen dem SV Werder und dem RSC Anderlecht; die Bremer waren vorgeführt worden. Dann stellte Otto Rehhagel seinen Liebling Mario Basler von rechts in die Mitte des Feldes – es war der entscheidende Schachzug auf dem Weg zum triumphalen 5:3.

Eine besondere Vorbereitung auf mögliche Wunder gebe es nicht, sagt Trainer Thomas Schaaf. Er selbst war zweimal dabei, 1987 und 1988. Eigentlich genüge die Motivation, sich nicht noch einmal vorführen zu lassen. Frühe Tore seien wichtig. Ein wenig speziell ist Werders Einstimmung auf den Mittwoch dennoch: Zum ersten Mal seit langer Zeit werden die Bremer ihr Abschlusstraining am Abend absolvieren. „Wir wollen vor dem entscheidenden Spiel nicht noch einmal unter voller Sonneneinstrahlung auf dem Platz stehen“, sagt Schaaf – damit das fünfte „Wunder von der Weser“ nicht an fehlenden Kräften scheitert.

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