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Sport: Zeit zum Aufbruch

Die Trennung von Marcelinho betrachtet Hertha BSC vor allem als Chance

Von Karsten Doneck, dpa

Den Fahrgästen der Linie U 78 blieb die aktuelle Information vorenthalten. Wer am Samstag mit der städtischen Bahn in Düsseldorf zur LTU-Arena rausfuhr, konnte in den Wagen auf kleinen Bildschirmen zur Einstimmung schon mal einen kurzen Werbespot für den Ligapokal anschauen. Eine Szene des Filmchens zeigte Marcelinho: tanzend vor Freude über ein gerade erzieltes Tor, umarmt und geherzt von den Teamkollegen. Bilder wie diese sind seit der Nacht von Freitag auf Samstag reif für das Archiv. Fußball-Bundesligist Hertha BSC hatte in der Nacht vor dem Ligapokalspiel gegen den Hamburger SV in Düsseldorf Marcelinho an den türkischen Erstligisten Trabzonspor verkauft. „Dass er jetzt weg ist, bedeutet nicht nur einen Verlust, sondern auch eine Chance“, sagt Herthas Manager Dieter Hoeneß über den Brasilianer, der am Sonnabend in Trabzon von begeisterten Fans am Flughafen empfangen wurde.

Herthas erster Auftritt nach Marcelinhos nächtlichem Transfer ging nur vom Ergebnis her daneben. Im Ligapokal schied die Mannschaft von Trainer Falko Götz mit 0:1 gegen einen recht schwunglosen HSV aus. Aber in Düsseldorf stand eine Hertha-Elf auf dem Rasen, die in brütender Hitze dem Gegner hart zusetzte, ihn über weite Strecken gar ausschließlich zum Reagieren zwang. „Wir haben viele Torchancen kreiert. Das ist gegen einen starken Gegner wie den HSV doch schon mal als Plus zu werten“, sagte Herthas Mittelfeldspieler Ellery Cairo nachher und klang dabei unnötig unterwürfig.

Hertha ohne Marcelinho – da wird sich so mancher auf dem Platz gehörig umstellen müssen. Endgültig vorbei sind die Zeiten, in denen gerade die jungen Spieler, wenn sie mal im Spiel nicht mehr weiter wussten, mit einem Querpass auf Marcelinho nicht nur den Ball, sondern auch gleich ein Stück Eigenverantwortung abgaben. Jetzt liegt es an Sofian Chahed, Christopher Samba, Malik Fathi oder Ashkan Dejagah, Selbstbewusstsein zu demonstrieren, die Initiative zu ergreifen, kreative Spielideen zu entwickeln.

Zumindest Hoeneß ist davon überzeugt, dass Hertha ohne Marcelinho nicht gleich übergangslos in eine dunkle Zukunft stolpert. „Wir sind dabei, eine junge, engagierte, leidenschaftliche Mannschaft aufzubauen“, sagt Hoeneß. Dazu gehört diszipliniertes Arbeiten – und mit der Disziplin nahm es ja gerade Marcelinho nie so genau. Höchst sachlich, fast emotionslos schätzten die Spieler die Trennung des Vereins von dem Brasilianer ein. Dick van Burik, der gestern Mannschaftskapitän war, kam zu dem Schluss: „Er ist jetzt nicht mehr da, damit müssen wir uns eben abfinden.“ Gegen den HSV sah es fast so aus, als sei die Mannschaft nach Marcelinhos Abschied noch ein bisschen enger zusammengerückt, um zu beweisen: Es geht auch ohne ihn. Yildiray Bastürk übernahm wie schon so manches Mal in der vergangenen Saison die Rolle Marcelinhos. Er führte die Mannschaft im Offensivbereich mit Eifer und dem nötigen Überblick über das Spielgeschehen. Für Bastürk ergeben sich auf den Platz völlig neue Freiheiten, entfällt jetzt doch die permanente Abstimmung im Mittelfeld mit Marcelinho, der mitunter auch mal recht selbstgefällig und egoistisch sein Spiel aufzog.

Hoeneß hat angekündigt, sich mit dem für Marcelinho reinkommenden Geld – von 2,5 Millionen Euro Ablöse ist die Rede –auf die Suche nach einem neuen Stürmer zu machen. „Bis zum 31. August geben wir uns Zeit. Wenn es früher klappen sollte, wäre das wunderbar“, sagte Hoeneß. Dass Marcelinhos Verkauf jetzt besiegelt ist, öffnet dem abgebenden Verein auch eine gewisse Planungssicherheit. Hoeneß weiß nun, in welcher finanziellen Größenordnung sich Hertha bei der Stürmersuche bewegen kann.

Die Niederlage gegen den HSV trieb Dieter Hoeneß freilich keinen Angstschweiß aus den Poren, hält er das Ergebnis doch nur für begrenzt aussagekräftig. „Nun warten wir doch mal ab, bis unsere WM-Teilnehmer Friedrich, Gilberto und Simunic oder auch der verletzte Boateng wieder richtig bei Kräften sind – ich denke, da ist bei uns noch eine Menge Potenzial vorhanden.“

Sollte Hertha tatsächlich Erfolg haben, werden Marcelinhos fußballerische Großtaten und seine privaten Eskapaden bald nur noch die Nostalgiker an den Fan-Stammtischen begeistern. Ellery Cairo rät eher zum Vergessen: „Was passiert ist, ist passiert. Man muss einfach weitermachen.“ Marcelinho – das könnte sehr bald Material fürs Archiv sein.

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