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Sport: Zu früh geweint

Liverpool feiert und will den Titel verteidigen

Von Jakob Schlandt

Nach 45 Minuten schien die größte Party der letzten zwanzig Jahre, wie die Fans des FC Liverpool versprochen hatten, bereits wieder beendet. Zur Halbzeit war die Sause in den überfüllten Kneipen und Pubs der Liverpooler Innenstadt zur Tragödie geworden. Im Pub „Albert“, direkt gegenüber dem Kop, der Fankurve des Stadions an der Anfield Road, wurden sogar Tränen vergossen. „Mailand hat die beste Abwehr der Welt“, „das war’s“, „aus der Traum“, sagten einige Fans, nachdem der AC Mailand kurz vor der Pause 3:0 in Führung gegangen war. Einige machten sich niedergeschlagen auf den Heimweg. Es sollte ein Fehler sein.

James Cleavenger, einer der Fans im „Albert“, konnte sich im Siegestaumel kurz nach dem Abpfiff schon nicht mehr erinnern, was genau passiert war. „Keine Ahnung wie sie das gemacht haben, ich habe quasi durchgejubelt und kaum noch etwas auf den Bildschirmen gesehen.“ Die Hymne des Vereins, „You’ll never walk alone“, die in dem Pub nach jedem Tor eingespielt wird, lief in der zweiten Halbzeit zehn Minuten lang ununterbrochen. Nach dem 3:3 aber begann das Zittern. Jede Grätsche wurde bejubelt, jeder erkämpfte Eckball frenetisch gefeiert, bis auch die Nachspielzeit abgelaufen war. Als Schewtschenko im Elfmeterschießen an Torwart Dudek scheiterte, war der große Traum wahr geworden. Der FC Liverpool hatte zum fünften Mal in der Vereinsgeschichte die Champions League beziehungsweise den Pokal der Landesmeister gewonnen. Im „Albert“ vibrierte unter den jubelnden Fans der Boden, ein Tisch brach zusammen, Fremde küssten sich, einer brüllte: „Das ist der schönste Tag meines Lebens!“

Über 50000 Fans strömten in die Innenstadt, wo bis in den Morgen friedlich gefeiert wurde. Ein junger Mann, bekleidet nur mit Socken und einer roten Fahne, rannte durch die Straßen, und am Williamson Square wurde der Springbrunnen trotz kalten Wetters als Plantschbecken benutzt. Sogar die blaue Hälfte der Stadt, die Fans des FC Everton, gab sich britisch fair und gratulierte. Michael Carson, einer der wenigen Evertonians, die sich im Zentrum blicken ließen, sagte: „Der Sieg war verdient, weil sie Juventus, Chelsea und jetzt Mailand aus dem Weg geräumt haben. Ich würde mich freuen, wenn sie nächstes Jahr mit uns in der Champions League spielen.“ Das aber ist die Frage.

Der europäische Fußballverband Uefa sieht eine automatische Qualifikation des Titelverteidigers für die Champions League nicht vor. Der englische Fußballverband FA könnte jedoch entscheiden, dem fünftplatzierten FC Liverpool den Platz von Everton zu überlassen, das dieses Jahr die Premier League auf Rang vier beendete. 1999 war das auch in Spanien geschehen, als Real Madrid statt San Sebastian vom spanischen Fußballverband nominiert wurde. Liverpools Mannschaftskapitän Steven Gerrard sagte: „Es heißt doch Champions League, also sollten die Champions auch mit dabei sein.“

Die FA hat bereits deutlich gemacht, dass Everton seinen Platz nicht verlieren wird. Stattdessen soll Druck ausgeübt werden, die Regeln zu ändern oder eine Ausnahme zu machen. Ein Sprecher der Uefa blockte bereits ab und sagte: „Regeln sind Regeln, und sie sind aus guten Gründen aufgestellt worden.“

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