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Sport: Zu gute Bekannte

Beckhams Versagen forciert Englands Niederlage

Es tat ihm sichtlich weh, aber Steven Gerrard blieb nichts anderes übrig. Er musste auf dem Weg zum Mannschaftsbus noch mal an den Siegern vorbei, die sich in entspannten Posen an ihrem späten Glück labten. Die Franzosen plauderten den Journalisten nonchalant schöne Wörter wie „Magie“ (Bixente Lizarazu) und „Wunder“ (Willy Sagnol) in die Notizblöcke. Steven Gerrard, der Mann aus Liverpool, der durch seinen unmotivierten Rückpass den entscheidenen Elfmeter heraufbeschworen hatte und dadurch Mitschuld an der 1:2-Niederlage trug, blieb in seiner Trauer stumm. Er hatte einen dieser schwarzen Plastiksäcke in der Hand, in denen man den Müll rausträgt. Das hatte als Bild genügend Aussagekraft. Die bis kurz vor dem Schlusspfiff führenden Engländer konnten aus dem „Estadio da Luz“ in Lissabon nichts Brauchbares mitnehmen, der Gegner hat die Punkte und gut lachen.

„Gott war heute Abend mit uns“, sagte der eingewechselte Sagnol nach dem bewegenden Match, „und wir hatten das Glück, einen Zidane zu haben; einen Mann, der im entscheidenden Moment da ist und die Tore macht.“ Es war ein großer Abend für Zinedine Zidane und ein grausamer für David Beckham, Zidanes Teamkollegen bei Real Madrid und Antipode als Mannschaftskapitän der Engländer. 90 Minuten lang waren die Franzosen gegen ungewohnt destruktive Engländer kaum nennenswert in Erscheinung getreten. England führte 1:0 durch ein Kopfballtor, das ausgerechnet Frank Lampard erzielt hatte, der Gegenspieler des bis dahin blassen Zidane.

Dieser Zidane wäre wohl nie zum Helden des Abends geworden mit seinen beiden Toren in der Nachspielzeit, wenn David Beckham seiner exponierten Stellung gerecht geworden wäre. Der englische Kapitän hatte zwar Lampards Führungstreffer mit einem raffinierten Freistoß vorbereitet, aber im entscheidenden Augenblick versagten ihm die Nerven. Das war eine Viertelstunde vor Schluss, als Wayne Rooney, der trotz seiner erst 18 Jahre überragende Engländer, nach einem Sturmlauf über das halbe Feld von Mikael Silvestre im Strafraum umgerempelt wurde. Schiedsrichter Markus Merk entschied sofort auf Elfmeter. Solche Situationen sind seit der WM 2002 ein Fall für David Beckham. Damals hatte er vom Elfmeterpunkt das 1:0-Siegtor gegen den WM-Favoriten Argentinien geschossen und die Nation in Entzückung versetzt. Diesmal misslang ihm die Ausführung gründlich. Ob es daran lag, dass im Tor sein Kollege aus alten Zeiten in Manchester stand? Fabien Barthez kennt Beckham so gut wie kaum ein anderer Torhüter, und prompt entschied er sich für die richtige, von ihm aus gesehen rechte Ecke. Halbhoch, also geradezu perfekt für einen Torhüter, flog der Ball heran, Barthez bog seinen Körper wie eine Stahlfeder, flog in die bedrohte Ecke und wehrte ab.

Beckham trug schwer an seinem Versagen. „Wir haben 89 Minuten toll gefightet“, referierte er später. „Hätte ich den Elfmeter verwandelt – ich bin mir sicher, dass wir dieses Spiel gewonnen hätten. Aber ich bin der Kapitän, ich trage die Verantwortung, auch für die Niederlage.“

Rafael Honigstein[Lissabon]

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