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Eng an eng. Hertha überließ Paderborn das Spiel.

© dpa

Zwischen Anspruch und Wirklichkeit: Hertha BSC läuft den eigenen Zielen hinterher

Zwar ist Hertha BSC endlich der erste Sieg der Saison gelungen. Doch spielerisch ist das Team noch weit vom versprochenen Spielkonzept entfernt. Ein Kommentar.

Natürlich war Javairo Dilrosun der gefragte Mann. Der 21-Jährige musste sich am Samstagabend im Stadionuntergeschoss vielen Fragen stellen. Mit einem zauberhaften Tor hatte er Hertha BSC gegen Paderborn in Front gebracht, später legte er Marius Wolf zum zwischenzeitlichen 2:0 auf. Beides zusammen sollte am Ende zu einem ersten wie glücklichen Sieg für die Blau-Weißen reichen in dieser Saison der Fußball-Bundesliga reichen. „Es ist ein großartiges Gefühl“, sagte Dilrosun hinterher in Englisch. Deutsch spricht der Holländer noch nicht, den Hertha vor einem Jahr aus dem Nachwuchs von Manchester City losgeeist hatte.

Einzig Dilrosun glänzte an diesem Nachmittag im Olympiastadion, an dem viel Fahrigkeit und Stückwerk zu sehen war. Insbesondere die Berliner, nach drei Niederlagen in Folge merklich angefasst, legten eine selten erlebte spielerische Ärmlichkeit an den Tag. Dilrosun muste da zwangsläufig hervorstechen. Der Junge sei Gold wert, heißt es seit einem Jahr mehr oder minder offen im Verein.

Für diesen außergewöhnlich talentierten Burschen hatten die Berliner lächerlich anmutende 250.000 Euro auf die Insel überwiesen. Schon im vorigen September hatte der Offensivspieler mit Tempo und Toren eingeschlagen. Doch dann warfen ihn kleinere und größere Verletzungen zurück. „Ich freue mich für den Jungen“, sagte Herthas Trainer Ante Covic, „wichtig ist, dass wir ihn gesund erhalten, dass er körperlich stabil bleibt, dann kann er für uns zu einer Waffe werden.“

Eine solche hat Hertha auch bitter nötig, so harmlos wie die Mannschaft derzeit daherkommt. „Dass wir mit einem Punkt im Rücken aus vier Spielen nicht unbedingt mit Selbstvertrauen glänzen können, ist ja klar“, sagte Covic. Ganz ähnlich hörten sich seine Spieler an. „Diese Phase ist gerade ekelig und dreckig“, sagte Stürmer Davie Selke, „wir müssen erst mal Punkte sammeln, egal wie.“ Man könnte auch sagen, dass Hertha auf dem Boden der Tatsachen angekommen ist.

Von Covics Vorhaben zum Dienstantritt im Sommer, die Mannschaft einen attraktiven Offensivfußball spielen zu lassen, sind nicht mal mehr Rudimente erkennbar. Gegen Paderborn war Covic in das unter seinem Vorgänger Pal Dardai meist praktizierte 4-2-3-1-System zurückgekehrt, indem sich das Gros der Spieler immer noch am sichersten fühlt. „Wir können nicht den zweiten Schritt vor dem ersten machen“: So hört sich der schleichende Rückfall auf Altbewährtes bei Ante Covic an.

Als Abkehr von seinem Vorhaben will der 44-Jährige das nicht verstanden wissen. Doch hat sich bei ihm die Erkenntnis breit gemacht, das ein grundsätzlicher Stilwechsel nicht von heute auf morgen zu organisieren ist. Auch Fußballer verharren bisweilen im Gewohnten.

Keine spielerische Linie

Wenn man ehrlich ist, dann ist Hertha unter Covic bislang weiter von einem attraktiven Offensivfußball entfernt, als es zu Zeiten Dardais der Fall war. Gegen Paderborn war keine spielerische Linie erkennbar. Eigentlich war Herthas Plan, den Gegner früh anzulaufen und zu attackieren. Da das nicht klappte, wurde zu Plan B gegriffen. Hertha überließ dem Gegner den Ball und war bei Ballgewinn auf schnelle Umkehrstöße aus. Es wird in der Liga nicht viele Mannschaften geben, die in einem Heimspiel einem Aufsteiger den Ball und das Geschehen überlassen.

Die Berliner Mannschaft wirkte am Samstag gleichermaßen verunsichert wie überfordert. Das Positionsspiel und das Spiel ohne Ball waren abenteuerlich, die Passgeschwindigkeit war gering. So konnte kein Spielaufbau aufkommen, geschweige denn Spielfluss. Kaum ein Spieler ist in die freien Räume gelaufen, kaum einer forderte den Ball. „Wir wollen nichts schönreden“, sagte Selke, man habe den Sieg erzwingen müssen, „das Spielerische blieb da auf der Strecke.“

Man darf den Berlinern nach diesem ersten Saisonsieg einen ehrlichen und bisweilen selbstkritischen Umgang mit ihrem Auftritt zugutehalten. „Wir können mehr, aber in dieser Phase geht es noch nicht anders“, sagte etwa Marius Wolf. „Wir müssen an den Dingen, die nicht laufen, weiterarbeiten. Für den Kopf war der Sieg aber mal wichtig.“ Und so stand Herthas fünfter Auftritt in dieser Spielzeit unter dem Motto: Gewinnen, egal wie. „Ich freue mich für die Jungs, dass sie mit einem Sieg im Rücken aufwachen können“, sagte Covic, „die Jungs müssen Selbstvertrauen gewinnen.“ Ohne dieses sei es schwer, auf dem Spielfeld die Dominanz zu erzeugen, die dem Trainer vorschwebt.

Ich vermisse sehr die Ambition, den Verein spielerisch auf andere Beine zu stellen. Man kann 10. werden mit destruktivem Spiel, aber auch mit offensivem, attraktivem Fußball.

schreibt NutzerIn fairplay180

Als nächstes wartet der 1. FC Köln

Obwohl Javairo Dilrosun Hertha früh in Front geschossen hatte, gelang es den Gastgebern fortan nicht, die Kontrolle über das Geschehen zu erlangen. „Wir haben es nicht geschafft, nach vorn zu verteidigen“, sagte Covic, „plötzlich machte sich bei den Spielern das Gefühl breit, mehr verlieren als gewinnen zu können.“ Man kenne ein solches Verhalten von Mannschaften, die in einer Krise stecken. Bei Hertha klaffen im September 2019 Anspruch und Wirklichkeit gewaltig auseinander.

Nach dem Sieg gingen die Herthaspieler in die Ostkurve und ließen sich von ihrem Anhang feiern. „Ein Fan meinte zu uns: Jetzt geht die Saison richtig los“, berichtete Marko Grujic. Ob es jetzt so richtig losgeht, werden die Spieler am kommenden Sonntag bei einem anderen Aufsteiger, dem 1. FC Köln, zeigen können. Bis dahin darf fleißig gearbeitet werden. Baustellen gibt es genügend. Aber immerhin haben die Herthaner einen Spieler in ihren Reihen, der herrlich unverbraucht drauflos spielt: Javairo Dilrosun.

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