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Sport: Zwischen Selbstmitleid und Selbstüberschätzung

Nach der Niederlage gegen Stuttgart beklagt Duisburg sein Pech und phantasiert über den Klassenerhalt

Vielleicht wäre die Niederlage leichter zu verkraften gewesen, wenn die Duisburger in der zweiten Hälfte weiter so gespielt hätten, wie in der ersten. Dann hätten sie vermutlich weitaus höher verloren, aber zumindest die Gewissheit gewonnen, dass sie in der Bundesliga nichts zu suchen haben. So wie das 2:3 am Samstag gegen den VfB Stuttgart zustande kam, hinterließ es aber eine tiefere Wunde, als ein glattes Debakel. Nach einer Aufholjagd des MSV in der zweiten Hälfte schien bis zur Nachspielzeit alles auf ein Unentschieden hinauszulaufen. Doch als es kurz vor Schluss darum ging, den Ball aus dem Strafraum zu schlagen, versagten die Füße und die Nerven von Christian Weber. Unglücklich stocherte der Duisburger den Ball zu Thomas Hitzlsperger und der Stuttgarter Nationalspieler nutzte die letzte Chance des Spiels.

Diese Dramaturgie machte das Duisburger Scheitern besonders qualvoll. Der MSV hatte sich schon als moralischer Sieger einer spannenden, wenn auch fußballerisch schwachen Partie gewähnt. Schon vor zwei Wochen gegen Borussia Dortmund hatte der MSV zweimal mit zwei Toren Unterschied geführt und in der Nachspielzeit noch das 3:3 kassiert. Gegen Stuttgart hatte der Tabellenletzte 0:2 zurückgelegen, dank einer couragierten Aufholjagd ausgeglichen und doch verloren.

Aber schon bei der Analyse der Niederlage machten die Duisburger den nächsten Fehler. Sie verfielen in Selbstmitleid. „Wie kann man nur so viel Pech haben? Ich weiß auch nicht, was wir jetzt tun sollen“, sagte Mittelfeldspieler Christian Tiffert. „Wir können ja nicht das Mobiliar zertrümmern.“ Sie hatten schon genug zertrümmert, vor allem: die Hoffnung und das Vertrauen ihrer Anhänger, die nicht gerade den Ruf haben, übersteigerte Ansprüche zu stellen.

Die Duisburger Selbstzerstörung hatte nicht erst in der neunzigsten Minute begonnen, sondern vor allem in der ersten Halbzeit (schon deshalb verbot es sich hinterher, von Pech zu sprechen). Der Ausgleich nach den beiden Toren von Mario Gomez lag außerhalb jeder Vorstellungskraft. „Wir haben ohne Leidenschaft, dafür mit umso mehr Angst gespielt“, sagte Trainer Rudi Bommer. „Das hatte mit Bundesliga nichts zu tun.“

Während der ersten Hälfte begleiteten die MSV-Anhänger die Spielversuche ihrer Mannschaft mit Pfiffen und lautstarken Zwischenrufen. Für einige Spieler war das zu früh. So schlecht die Mannschaft anfangs auch gespielt hat – es gebe keinen Grund, „sie schon nach einer halben Stunde so niederzumachen", jammerte Verteidiger Björn Schlicke später. Schlicke erklärte die Bereitschaft, sich „beschimpfen zu lassen, wenn wir tatsächlich absteigen“. Solange aber „rechnerisch noch alles möglich“ sei, bat er inständig um die Unterstützung der Mannschaft.

Rechnerisch noch alles möglich – ist das nicht die Floskel, die gegen Ende einer jeden Saison den Kernsatz im Vorwort zu den Kapitulationserklärungen der Absteiger bildet? Schlicke dürfte der erste Profi in dieser Saison sein, der diese Phrase öffentlich bemüht, und das bereits nach dem zwanzigsten Spieltag. Dabei bringen es der Abstiegskampf und die (geringe) Qualität der darin verwickelten Mannschaften mit sich, dass selbst der MSV Duisburg als Tabellenletzter längst nicht abgeschlagen ist. Mit einem Sieg in Bielefeld könnte man den Abstand zum aktuellen Fünfzehnten auf einen Punkt verkürzen. Also alles (noch) halb so schlimm?

MSV-Präsident Walter Hellmich will unter dem Eindruck der zweiten Halbzeit nur eines sagen: „Einfach weitermachen, das muss die Botschaft sein.“ Hellmich benutzt nicht ungern Parolen, die er irgendwo in einem Fußballtheater schon mal gehört hat. Aber das heißt nicht, dass der Mann keine Phantasie hat. So prekär die Lage sein mag, Hellmichs Zuversicht reicht sogar über das Ende dieser Spielzeit hinaus. „Wir lassen noch drei Mannschaften hinter uns und dann greifen wir im nächsten Jahr an.“ Darauf muss man erst einmal kommen.

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