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Sport: Zwölf Freunde müsst ihr sein

Die Bayern beschwören vor der letzten Chance gegen Anderlecht einen unsichtbaren Neuzugang: den Teamgeist München

München. Es war die verständnisvolle Seite von Uli Hoeneß. Ein belgischer Journalist hatte sich kürzlich bei dem Manager erkundigt, ob das nun das Spiel des Jahres sei für den FC Bayern, der heute gegen den RSC Anderlecht antritt. Da lächelte der Mann aus Ottobrunn, milde wie ein Grundschullehrer, der einen Erstklässler in die Geheimnisse des Alphabets einweiht. „Sie sind ja nicht oft in München“, erklärte Hoeneß dem Belgier, „aber wie oft hier vom wichtigsten Spiel des Jahres gesprochen wird – das hat so einen Bart, das Wort.“ Er hielt die linke Hand vor seinen Bauchnabel: so lang, der Bart. Der Reporter musste irrigerweise die Vermutung ins Nachbarland tragen, es sei eine ganz gewöhnliche Aufgabe für die Bayern heute, ab 20.45 Uhr (live in Sat 1).

Natürlich ist das Gegenteil der Fall: Wenn der deutsche Rekordmeister zum letzten Vorrundenspiel der Champions League antritt, steht nichts weniger auf dem Spiel als das eigene Selbstverständnis. Gewinnt die Mannschaft nicht, würde sie zum zweiten Mal in Folge bereits in der Vorrunde ausscheiden, bei einem Remis bliebe vielleicht der Uefa-Cup. Selbst das wäre schwer zu vereinbaren mit der eigens erteilten Bestimmung als Global Player, und es wäre gleichzeitig ein neuer Hinweis darauf, dass die Post-Effenberg-Generation im Hochdruckgebiet FC Bayern nicht funktioniert. Es ist die letzte Chance zur Selbstfindung. Und dabei beschwören die Bayern einen unsichtbaren Neuzugang: den Teamgeist.

Wie schon vor einem Monat, als das 1:2 gegen Lyon die Bayern böse erschreckt hatte und das wichtige Ligaspiel gegen Dortmund bevorstand, entschloss sich Ottmar Hitzfeld für eine Kurzkasernierung seiner Belegschaft in einem Familienhotel am Tegernsee. „Die Mannschaft ist sich der Lage bewusst. Ich bin überzeugt, dass sie zusammenhält, um diese wichtige Schlacht zu schlagen“, meldete der Trainer gestern martialisch.

Das Tagungsziel am Tegernsee ist klar: das Einschwören auf die Aufgabe, den Glauben an die kollektive Kraft. Wer gestern den Zwischenbericht der Hauptbeteiligten hörte, musste glauben, Hitzfeld hätte drei Doppelstunden lang zu diesem Thema referiert und seinen Zuhörern am Ende ein Tonband überreicht. Zum Wiederholen, vor dem Schlafengehen. „Man merkt in solchen Situationen, dass man als Einzelner wertlos ist. Es geht ums Kollektiv“, trug Oliver Kahn das gemeinsame Lernziel vor. „Es geht nur gemeinsam, nicht mit Einzelkämpfern“, rezitierte Owen Hargreaves.

Bisher hatten die Bayern die Elf-Freunde-Doktrin nicht ausreichend verinnerlicht; Michael Ballack und Zé Roberto etwa gefielen sich gelegentlich als Solokünstler, aber in den entscheidenden Momenten – etwa beim letztjährigen Entscheidungsspiel in La Coruña oder zuletzt gegen Lyon – konnten sie keine Impulse geben. Die Hitzfeldsche Formation wirkte oft wie eine kühle Koalition von elf Spezialisten, leidenschaftliches Zusammenspiel fehlte meist.

Hoffnung, dass das Kurzseminar Früchte trägt, lieferte neben dem geschlossen erzwungenen 0:0 in Glasgow vor zwei Wochen der Auftritt am Sonnabend in Bremen. Michael Ballack, der noch gegen Köln eine Woche zuvor seine Kollegen motzig herumkommandiert hatte, ließ sich gegen Werder als Arbeitsmaschine vor der Abwehr zweckentfremden. Gestern sagte er: „Man muss sich in den Dienst der Mannschaft stellen.“ Artig gelernt, „Michael Ballack akzeptiert, dass er am wichtigsten ist, wenn er ein Stabilisator für die Defensive ist“, lobte Hitzfeld. Die Offensivaufgaben übertrug der Trainer wie zuletzt dem Sturmtrio Pizarro, Makaay und Santa Cruz. Die hart erarbeitete Zuversicht kann auch Robert Kovacs Ausfall nicht trüben. Der Innenverteidiger wird voraussichtlich durch Thomas Linke ersetzt.

„Es geht um die Zukunft für uns als Mannschaft, darum, dass wir im neuen Jahr noch in allen Wettbewerben dabei sind“, sagte Hitzfeld. Eines ist ihm klar: DFB-Pokal und Meisterschaft reichen diese Saison nicht, das hatte der Manager zu Beginn der Spielzeit gesagt. Bei diesen Worten hatte Uli Hoeneß übrigens gar nicht verständnisvoll geklungen.

Daniel Pontzen

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