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Etwa 3000 Personen, meist Studenten, nehmen an der vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) durchgeführten "Internationalen Vietnam-Konferenz" in der TU teil. Auf dem Bild vor einer übergroßen Vietkong-Fahne am Tisch stehend sind zu sehen - von links: K.D. Wolff (am Rednerpult), Dr. Klaus Meschkat, Dr. Johannes Agnoli, Christian Semmler, Gaston Salvatore, Rudi Dutschke, Günther Ament, Kurt Steinhaus und Tariq Ali.

© Chris Hoffmann/dpa

1968 im Tagesspiegel: Vietnam-Kongreß in der TU: Vom bloßen Protest zum Widerstand

Mit dem Vietnam-Kongress vor 50 Jahren erreichte der Studentenprotest in Deutschland seinen politischen Höhepunkt. So berichtete der Tagesspiegel damals

Wie hat der Tagesspiegel das Jahr 1968 begleitet? Wir publizieren regelmäßig einen ausgewählten Text aus der Zeitung von vor 50 Jahren – zur Studentenbewegung, sowie zu anderen Themen, die die Stadt und die Welt bewegt haben. Am 18. Februar 1968 berichtete der Tagesspiegel über den Vietnam-Kongreß

Unter einer großen Vietcong-Fahne, Spruchbändern für den "Sieg der vietnamesischen Revolution" und Bildern des nordvietnamesischen Staatschefs Ho Tschi Minh begann am Sonnabendmittag in der Technischen Universität die Vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund (SDS) und anderen linksstehenden Organisationen vorbereitete "Internationale Vietnamkonferenz". Im überfüllten Auditorium maximum, den Vorräumen und einigen Hörsälen hatten sich rund 3000 Teilnehmer, darunter auch eine Reihe ausländischer Delegierter, versammelt. Der SDS erwartet für den Kongreß und die am heutigen Sonntag geplante Demonstration rund 10 000 Teilnehmer, davon etwa 3000 westdeutsche und ausländische Gäste.

Der Philosoph Professor Bloch, der am Abend vor dem Kongreß sprechen sollte, hat seine Teilnahme wegen einer Erkrankung kurzfristig abgesagt und ein Grußtelegramm geschickt.

Der SDS-Bundesvorsitzende Wolff bekräftigte in seiner Eröffnungsrede, daß die Demonstration am Sonntag auf jeden Fall stattfinden werde. Er rief dazu auf, "vom bloßen Protest gegen den Völkermord und den imperialistischen Krieg", wie ihn die USA in Vietnam führten, "zum Widerstand" überzugehen. Es dürfe nicht bei einer nur verbalen Eskalation und immer größeren Demonstrationen bleiben, sondern es komme darauf an, die "Macht der imperialistischen Militärmaschine zu verunsichern". Die Koordinierung der Aktionen zumindest für Westeuropa sei die Hauptaufgabe des Kongresses.

Wolff schloß seine Rede mit einem Hoch auf die kommunistische "Vietnamesische Befreiungsfront" (FNL). Im Auditorium erhob sich langanhaltender Beifall, der in rhythmisches Klatschen und "Ho-Tschi-Minh" -Rufe überging. Das Präsidium, zu dem unter anderen Meschkat vom Republikanischen Club, der SDS-Ideologe Dutschke, der Vorstands-Vorsitzende der TU-Studentenvertretung, Wethekam, und der FU-Assistent Agnoli gehören, erhob sich von ihren Plätzen.

Tumulte am Mikrophon

Unter den weiteren Rednern, die einträchtig die "US-Aggression" in Vietnam verurteilten und den "Sieg der Revolution" vorhersagten, befand sich auch ein offizieller Vertreter der kommunistischen FDJ West-Berlins. Zunehmende Unruhe, Zwischenrufe und Buh-Rufe breiteten sich im Saal aus, als er einen ausführlichen Abriß der vietnamesischen Entwicklung seit 1945 gab, der in Anschuldigungen gegen die Bundesrepublik endete. Mehrfach griff Dutschke ein, um dem FDJ-Vertreter das Weiterreden zu ermöglichen. Dabei wies Dutschke unter anderem auf die Mittler-Funktion hin, die die FDJ wegen ihrer Ostkontakte besitze.

Nach der Verlesung eines aus Ost-Berlin übermittelten Vietcong-Telegramms kam es zu einem Zwischenfall. Der West-Berliner Rechtsanwalt Prelinger trat an das Mikrophon und rief: "Wir Berliner protestieren gegen diese Konferenz!" Daraufhin zerrten ihn Umstehende vom Mikrophon weg und umringten ihn. Nach einem kurzen Handgemenge wurde Prelinger von mehreren Ordnern aus dem Saal gebracht. Vor der TU kam es zu Diskussionen mit dem Anwalt.

Die Abendveranstaltung wurde von dem Schriftsteller Peter Weiss eröffnet, der entgegen einer früheren Ankündigung doch an dem Kongreß teilnahm. Er sagte, da Presse und Rundfunk in den Händen der "Verschleierer, Fälscher und Lügner" seien, müßten die Straßen und Plätze "unser legitimes Massenmedium" sein. Ziel müsse es sein, die "etablierten Oligarchien zu verunsichern", ihre Machenschaften zu entlarven und dadurch am internationalen Befreiungskampf teilzunehmen. "Handeln muß zur Sabotage führen, wo immer diese möglich ist."

Dutschke forderte in einer programmatischen Rede zum anti-imperialistischen Kampf in den Metropolen auf. Auf Massenveranstaltungen sollten zunächst "die Gastarbeiter und die um ihre Arbeitsplätze bangenden Ruhrarbeiter mobilisiert werden. So solle der Ausgangspunkt für eine anti-autoritäre Einheitsfront geschaffen werden.

Auch der Journalist Erich Fried unterstrich die Bedeutung der großen Städte für die "Revolution" und meinte, Gewalt könne sehr hilflos werden, wenn sie mit der Gewaltlosigkeit konfrontiert werde. Diese sei jedoch nur eine Taktik, die nicht zum Prinzip werden dürfe.

Am späten Abend wurde bekanntgegeben, daß die heutige Demonstration um 14 Uhr am Cafe Kranzler beginnen und über den Kurfürstendamm und die Wilmersdorfer Straße zur Deutschen Oper führen solle. Dort ist eine Abschlußkundgebung geplant.

Grußbotschaften sandten unter anderen der britische Philosoph Russell, der dazu aufforderte, die Amerikaner aus Europa hinauszuwerfen, und die kubanische Jugendorganisation.

Im Laufe der Veranstaltung trafen ständig weitere auswärtige Teilnehmer in der TU ein. Im Hauptgebäude wurde ein Kindergarten eingerichtet. Plakate forderten zu Blutspenden für die Vietcong an Ort und Stelle auf.

Brief an Stadtkommandanten

15 ausländische Delegationen haben einen von den Kongreß-Veranstaltern vorbereiteten Offenen Brief unterschrieben, in dem die drei westlichen Stadtkommandanten aufgefordert werden, dafür zu sorgen, daß der Senat keine "demokratischen Grundrechte" außer Kraft setze. Die Alliierten sollten gewährleisten, daß die Kongreß-Teilnehmer, die "um Gesundheit und Leben" fürchteten, nicht "provokativen Anschlägen" der Polizei und der Bevölkerung zum Opfer fielen. Der Brief zieht in diesem Zusammenhang Parallelen zur Propaganda der Nationalsozialisten "und deren Pogromhetze gegen Minderheiten".

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