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Jean-Claude Juncker (Konservative, links) und Martin Schulz (Sozialdemokraten, rechts) wollen beide EU-Kommissionspräsident werden.

© dpa

EU-Kommission: Gipfel der Demokratie

Der Kampf um das Präsidenten-Amt der EU-Kommission scheint so gut wie beendet zu sein. Die Konservativen bekommen ihren Juncker. Die Sozialisten ihren Parlamentspräsidenten Schulz. Doch was bekommt die Demokratie?

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Die SPD "behält im Machtpoker die Oberhand", urteilt Jasper von Altenbockum auf faz.net. Das sozialdemokratische Projekt, den Präsidenten der Kommission parlamentarisch zu legitimieren, sei durch Schulz’ Zusatzforderung nach dem Vizeposten gefährdet worden. Einen SPD-Mann als deutschen Kommissar hätte sich Merkel nicht gefallen lassen, und dann wohl auch Juncker verhindert. Sigmar Gabriel habe jetzt ein "realistisches Juncker-Junktim" formuliert und damit die SPD aus einer kritischen Lage manövriert.

Als "Merkels Dilemma" bezeichnet Béla Anda auf "Bild.de"die personalpolitische Gemengelage. Zwar habe die Kanzlerin den Vorstoß der SPD, die Kriterien des Euro-Stabilitätspaktes zu lockern, erfolgreich verhindert. Doch dass Franzosen und Italiener ihre Zustimmung zu Juncker weiter an diese Auflockerung knüpfen würden, erschwere für Merkel die Unterstützung des Frontmannes der EVP und zeige, welch "schäbiges Ausmaß" die Kungelei um den Posten genommen hat.

"Als Tiger gesprungen, als Bettvorleger gelandet", schreibt Daniel Friedrich Sturm für die "Die Welt" über die SPD-Personalie Martin Schulz. Sein Schachzug, das Modell eines Spitzenkandidaten für die Europawahl zu erfinden, ende nun in einer bitteren Niederlage. Und Gabriels neues Vorhaben, Schulz als Parlamentspräsidenten durchzupauken, komme „einer europapolitischen Bankrotterklärung gleich“. Die Forderung nach einem Parlamentspräsidenten Schulz, vorgetragen aus der Exekutive des mächtigsten EU-Staates, rieche nach "Berliner Diktat".

"Ist es ein Abstieg, ein taktischer Schachzug oder ein Dienst an der europäischen Demokratie?", fragt sich Christoph Hasselbach für die "Deutsche Welle" in Bezug auf Martin Schulz. Diesem gehe es bei der Besetzung der Kommission weniger um Parteipolitik als um die Machtverteilung zwischen den EU-Institutionen. Wie auch immer diese Diskussion ausgehe, der SPD-Mann habe sich große Verdienste um die EU erworben. Außerdem sei der selbstbewusste und streitlustige Schulz im Parlament besser aufgehoben und ein Kommissarsposten für ihn „Talentverschwendung“ gewesen.

Die Personalie Juncker sei zweitrangig, kommentiert Cerstin Gammelin auf "Süddeutsche.de", viel wichtiger sei eine Diskussion über die Zukunft der EU. Zeichen eines gesamteuropäischen Reformwillens wäre die Bereitschaft, die Kommission zu vereinfachen. Danach könne man auch die Causa Juncker lösen. Im Moment glaubten weder die Regierungschefs noch die Parlamentarier wirklich, dass Juncker der beste Administrator sei. Man wolle ihn vielmehr "aus Prinzip, weil er gewonnen hat."

Mit seiner Einschätzung, die Bürger Europas hätten Juncker nicht gewählt, ja nicht einmal von seiner Spitzenkandidatur gewusst, liege Cameron nicht so ganz falsch, findet Stephan-Andreas Casdorff, Chefredakteur vom "Tagesspiegel". Dass er jetzt trotzdem durchgedrückt werde, liege an der Ambition der Sozialdemokraten, ihre Verlässlichkeit zu demonstrieren. Letztlich gehe es Gabriel und seinen Verbündeten darum, Merkel und ihre Austeritätspolitik zu beenden – nicht auf heimischem Terrain, sondern auf indirektem Wege in Europa. Sie wollten "ihr endlich einmal eine Niederlage zufügen."

Eric Bonse beklagt auf taz.de das "Geschacher im Hinterzimmer". Die Wähler dürften sich zu Recht verschaukelt fühlen. Sie bekämen jetzt statt Schulz oder Juncker, Schulz und Juncker. Über die weitere Verteilung der Kommissionsposten brauche man gar nicht erst reden. Der Verlierer der intransparenten Gespräche europäischer Regierungschefs sei die europäische Demokratie.

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