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Attac-Aktivisten bei einer Demonstration in Frankfurt.

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Gemeinnützigkeitsrecht in Deutschland: Attacke auf Attac mit politischem Motiv?

Das Finanzamt Frankfurt entzieht den Globalisierungsgegnern die Gemeinnützigkeit. Experten sagen das Gemeinnützigkeitsrecht atme in Deutschland noch den "Geist des Obrigkeitsstaates von 1941".

Geschäftsführerin Stephanie Handtmann war schockiert, als sie die Post vom Finanzamt öffnete. Darin erkannte das Frankfurter Amt dem globalisierungskritischen Netzwerk Attac rückwirkend bis 2010 die Gemeinnützigkeit ab. Begründung: Die Organisation verfolge „allgemeinpolitische Ziele“. In Deutschland ist dies verfassungsrechtlich den Parteien vorbehalten. Gemeinnützige Vereine und Stiftungen dürfen offiziell keine Politik machen, was theoretisch auch für andere Organisationen wie Greenpeace oder Campact zum Problem werden kann.

Warum also sind bisher nur die Globalisierungsgegner von Attac betroffen? „Bis 2009 hatten wir keine Probleme“, sagt Attac-Geschäftsführerin Handtmann. Die Opposition im hessischen Landtag vermutete denn auch eine politische Motivation hinter dem Entzug der Gemeinnützigkeit. Die Führung der hessischen Linken trat wie mehrere andere Sympathisanten Attac aus Solidarität bei. Die SPD-Fraktion stellte eine parlamentarische Anfrage an die schwarz-grüne Regierung in Wiesbaden. „Auf wessen Initiative wurde das Aberkennungsverfahren in die Wege geleitet?“, heißt die zentrale Frage im „dringlichen Berichtsantrag“ der SPD.

Die Regierungsparteien in Hessen wehren sich gegen den Vorwurf der politischen Einflussnahme in der Causa Attac. „Wir dürfen niemanden besserstellen, wenn es um das Gesetz geht“, sagt Sigrid Erfurth, finanzpolitische Sprecherin der Grünen im hessischen Landtag. Unterstützung bekommt sie vom CDU-geführten Finanzministerium in Hessen. Auf Anfrage bezeichnet ein Sprecher des Ministeriums die Vorwürfe der politischen Einflussnahme als „abenteuerlich“. Den Fall Attac wollte er mit Verweis auf das Steuergeheimnis nicht kommentieren.

Attac muss sich reformieren

Der Politikwissenschaftler Peter Grottian sitzt im wissenschaftlichen Beirat von Attac. Auch er sieht den Entzug der Gemeinnützigkeit kritisch, kritisiert aber auch Attac inhaltlich und organisatorisch. Die Bewegung der Globalisierungsgegner sei in die Jahre gekommen, erklärt Grottian, die selbst verschriebene Basisdemokratie mehr Schein als Sein, das Mobilisierungspotenzial schwach. Attac müsse überlegen wie es seine Ziele mit dem Gemeinnnützigkeitsgesetz vereinbaren könne. Was bedeutet zum Beispiel „politische Bildungsarbeit“, wenn man per Gesetz unpolitisch bleiben muss?

Ein organisatorisches Problem sieht Grottian vor allem in der Struktur von Attac. Zum Beispiel gebe die Zentrale in Frankfurt Gelder an die kommunalen Gruppen weiter, ohne einen Zweck dafür zu definieren. Darin sieht Attac kein Problem, jedes Finanzamt beäuge diese Praxis aber kritisch. Für den Herbstratschlag, die Vollversammlung von Attac, hat Grottian mit anderen Mitgliedern des Beirats und von Attac ein Papier verfasst, in dem er eine organisatorische und inhaltliche Neuaufstellung fordert.

Willkür und ein archaisches Verständnis

Laut Gemeinnützigkeitsgesetz darf Attac gar nicht für die Finanztransaktionssteuer einstehen, wenn die Organisation gemeinnützig sein möchte.
Laut Gemeinnützigkeitsgesetz darf Attac gar nicht für die Finanztransaktionssteuer einstehen, wenn die Organisation gemeinnützig sein möchte.

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Beim Thema Gemeinnützigkeit in Deutschland gibt es zwei zentrale Probleme, sagt Rupert Strachwitz, Leiter des Maecenata-Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft: „Die Willkür der Ämter und ein archaisches Verständnis von Gemeinnützigkeit an sich.“

Für die Überprüfung der Gemeinnützigkeit einer Organisation ist das örtliche Finanzamt der gesetzliche Ansprechpartner. Attac hat seinen Sitz in Frankfurt, deswegen ist das Finanzamt Frankfurt für die Überprüfung zuständig. „Oft entscheiden Beamte, die gar nicht richtig geschult sind, was das Engagement der Zivilgesellschaft angeht“, sagt Rupert Strachwitz. Er bezweifelt ob eine Behörde wie das Finanzamt in Frankfurt das weite Spektrum an gemeinnütziger Arbeit in Deutschland überhaupt beurteilen kann. Bundesweit mehren sich die Fälle. So sah sich zum Beispiel der BUND in Hamburg ebenfalls mit dem Vorwurf des politischen Engagements konfrontiert.

Bundesfinanzministerium sieht keinen Reformbedarf

Das Gemeinnützigkeitsgesetz in Deutschland, das noch vom Anfang des 20. Jahrhunderts stammt und im Jahr 1941 von den Nationalsozialisten reformiert wurde, atme laut Strachwitz den „Geist des Obrigkeitsstaates“. Zwar wurde das Gesetz nach dem Zweiten Weltkrieg immer wieder angepasst, die staatszentrierte Logik blieb aber bis heute erhalten. „Damals bestand Zivilgesellschaft aus Wohlfahrt und ursprünglich staatlichen Dienstleistungen, die von gemeinnützigen Organisationen bereitgestellt wurden“, sagt Strachwitz.

Die Gemeinnützigkeit einfach zu entziehen, sei ein staatliches Instrument, um die Zivilgesellschaft zu schwächen, das werde in Ägypten oder in der Türkei nicht anders gehandhabt. Mit der modernen, politischen Zivilgesellschaft von heute habe das Gesetz nicht viel zu tun. Reformbedarf sieht das Bundesfinanzministerium jedoch nicht, wie eine Sprecherin erklärt.

Für Attac würde eine Reform ohnehin zu spät kommen. Die jetzige Situation kann für die Globalisierungsgegner zur Existenzbedrohung werden. Die Organisation darf mit dem Verlust der Gemeinnützigkeit keine Spendenquittungen mehr ausstellen, was einen deutlichen Rückgang des Spendenaufkommens bedeuten könnte. Denn auch Unterstützer der Globalisierungskritik öffnen ihre Geldbörse nur, wenn sie das gespendete Geld von der Steuer absetzen können.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 28. Oktober 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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