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Campact organisiert Widerstand im Netz. Das gefällt nicht jedem.

© dpa

Online-Kampagnen: Campact und der Protest mit der Maus

Campact organisiert politischen Widerstand online – und überführt ihn in die richtige Welt. Die Arbeit des Netzwerks sorgt ausgerechnet bei denen, die Campact eigentlich nahe sein müssen, für Kritik.

Im dritten Anlauf haben sie Horst Seehofer gekriegt. In Regenstauf war das, an der Donau, im März. In Würzburg und in Schwabach hatte der große Bayern-Regent und kleinste Berlin-Koalitionär sich noch geweigert. In Regenstauf aber war er fällig. 216 000 Namen drückten sie ihm in die Hand und danach auch noch ein Gespräch mit aufgebrachten Oberpfälzern mitten hinein in den Wahlkampfauftritt, den die örtlichen Christsozialen so hübsch geplant hatten. Den Protestierern ging es um „Mehr Wind für Bayern“ und insgesamt um die Rettung der Energiewende. „Lautstarke Demonstration gegen Seehofer“ titelte anderentags die Lokalzeitung. Knapp 500 Kilometer weiter nördlich, in der Zentrale von Campact in Verden an der Aller, konnten sie zufrieden sein. Die Verbindung der Welten hatte mal wieder geklappt.

Wer Katharina Nocun fragt, was ihr Job ist bei Campact, hört genau das: „Dafür zu sorgen, dass Protest von der Online- in die Offline-Welt getragen wird.“ Ihre Berufsbezeichnung lautet Campaignerin, sie organisiert Widerstand. Gegen Vorratsdatenspeicherung, gegen fehlende Netzneutralität, gegen das Verweigern von Asyl für Edward Snowden. Nocun ist die Expertin für Netzpolitik, Bürgerrechte und Mitbestimmung bei Campact. Protest ist ihre Profession.

Es gibt Leute, die Campact und ähnlichen Netzwerken, MoveOn, Change, Avaaz, eigentlich nahe sein müssten – ihnen aber genau dieses Professionelle vorwerfen: Es gehe den Betreibern nicht wirklich um Inhalte, erst recht nicht um Ideale und schon gar kein bisschen um Revolution oder wenigstens Rebellion. Sie verbreiteten „die Illusion, dass man mit Surfen im Internet die Welt verbessern kann“, schrieb der Amerikaner Micah White, einer der Initiatoren von Occupy Wall Street, vor vier Jahren. Die Protest-Portale, erfunden 1997 in den USA, begannen da gerade auch in Europa an Beachtung zu gewinnen. Und an Wirkung. Politischer Protest als Produktplatzierung, lästerte White. Weltverbesserung werde vermarktet wie Toilettenpapier, „politisches Engagement wird eine Sache von ein paar Klicks“.

Genau das preist Katharina Nocun als den Charme von Campact und als Erfolgsrezept. „Ganz viele wollen was bewegen. Aber sie haben nur begrenzt Zeit und Ressourcen. Jeder, der bei uns klickt, weiß, dass wir dranbleiben.“

Was das heißt und wie sich das anfühlen kann, hat in den vergangenen Monaten besonders Karel de Gucht erfahren, der noch amtierende Handelskommissar der EU und ihr Chefunterhändler für TTIP, das Freihandelsabkommen mit den USA. „Stoppt TTIP“ startete im vergangenen Winter; inzwischen hat allein Campact 620 000 Unterschriften zusammen – und damit viel mehr als alle anderen TTIP-Gegner miteinander.

Vor der Europa-Wahl im Mai kriegten die Spitzenkandidaten Besuch von Campact und den bei diesem Thema verbündeten Organisationen. Spätestens seitdem ist von den drei Berliner Großkoalitionären zumindest die SPD sensibel geworden für den Protest. Sigmar Gabriel selbst organisierte ein Treffen zwischen TTIP-Gegnern und dem Kommissar. Der begann plötzlich von Transparenz zu reden, statt wie zuvor auf strikteste Geheimhaltung zu pochen. Insgesamt kann sich de Gucht allerdings noch nicht entscheiden, wie ernst er Campact & Co. nehmen will. Nocuns zuständiger Kollegin Maritta Strasser warf er hin: „Na ja – Sie vertreten eine halbe Million Menschen. Ich vertrete 500 Millionen.“ Im „Spiegel“-Interview vor der Wahl aber gab er sich lernfähig: „Ja, diese Macht der sozialen Medien ist schon ungeheuer.“

Nicht alle sind davon überzeugt. Kersten Steinke beispielsweise, Expertin in Sachen Petition, wie der Bürgerwunsch an die Politik in korrektem Verwaltungsdeutsch heißt. Seit fast neun Jahren leitet die Linke den Ausschuss des Bundestags. „Wem Aufmerksamkeit reicht“, sagt sie, „ist bei den Netzwerken richtig. Wem es aber wirklich um Gesetzesänderung geht …“ Es klingt eventuell abschätziger, als Kersten Steinke es meint. Denn auch wenn auf der Online-Plattform des Parlaments 1,8 Millionen Unterzeichner registriert sind und bei Campact ein paar weniger mit bislang gut 1,4 Millionen: Der Erfolg der Außerparlamentarischen macht die Ausschuss-Chefin nachdenklich. „Vielleicht sollten wir noch offener werden, unsere Schwelle noch niedriger halten.“

Ganz sicher, findet Katharina Nocun. Sie selbst ist beim Ausschuss schon mit dem Wunsch nach einer öffentlichen Petition gescheitert. Als vor einem Jahr herauskam, dass auch der britische Geheimdienst Bundesbürger ausspionierte, wollte Nocun den Bundestag dazu bringen, ein EU-Vertragsverfahren wegen Verletzung der Privatsphäre wenigstens zu debattieren. Der Ausschuss aber, erinnert sie sich, sah nicht, wie über eine solche Klage beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eine „lebhafte, aber auch sachliche öffentliche Diskussion geführt werden kann“.

Das, sagen sie bei Campact, ist die Lücke im politischen System, die sie füllen. Nocun nennt das ihren „Arbeitsauftrag“. Themen auf die Agenda setzen – und dort halten. Reizt solcher Erfolg außer der Politik auch die Industrie? Regt er vielleicht sogar die Fantasie an in Konzernzentralen? Nur ein einziges Mal, sagt Pressesprecher Jörg Haas, habe man bislang einen Antrag bekommen. Auch wenn Haas nicht verraten will, wer es war: Es ging um das Angebot, eine bereits laufende Aktion zu sponsern. Sie hätten abgelehnt, natürlich. „Man kann Campact nicht kaufen.“, sagt Haas. „Wir sorgen“, sagt Katharina Nocun, „dafür, dass die Zivilgesellschaft gehört wird. Und wir entscheiden, wann die Diskussion beendet ist.“

Für die Grundsätzlichen wie Occupy- Initiator Micah White ist der Portal-Protest trotzdem so, als tränke man statt bitterem Kakao lieber Kaba. Irgendwie Instant. Geht schnell, schmeckt süß, fühlt sich gut an. Aber macht dick und bequem. Und ruiniert am Ende sowohl Aus- als auch Ansehen. White glaubt inzwischen an den klassischen Weg. „Für politische Macht muss man Wahlen gewinnen.“ Campact, sagt Nocun, die auch zur Piratenpartei gehört und dort ein halbes Jahr politische Geschäftsführerin war, Campact wird die Seehofers trotzdem weiter dort treffen, wo sie zu erwischen sind. Und wenn man sie und die anderen 24 Hauptamtlichen schon für Lobbyisten halten will, dann ist ihr wichtig, dass 95 Prozent der Campact-Finanziers „Kleinspender“ sind. Dass der Jahresetat zwar ständig steigt – aber noch immer keine drei Millionen Euro beträgt. Und dass sie, anders als die Industrie, „eher vor der Lobby steht und protestiert, als drinnen mit den Politikern Kaffee zu trinken“.

Cornelie Barthelme

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