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Zugang zum Arbeitsplatz womöglich bald nur noch mit dem richtigen Schlüssel - einer elektronischen Chipkarte. Auf dem Bild ist der damalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse zu sehen, wie er 1999 den symbolischen Schlüssel für den Reichstag erhielt.

© dpa

Wer darf in den Bundestag?: Mit Chipkarte zum Arbeitsplatz

Der Bundestag diskutiert über ein neues Hausausweissystem. Die Einführung einer elektronischen Chipkarte ist allerdings hoch umstritten, denn Kosten und Risiken sind noch unklar.

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Dem Bundestag ist die Sache ernst. 112 110 Euro hat er sich die Studie des Berliner Fraunhofer-Instituts Fokus für ein neues Hausausweissystem kosten lassen, zuzüglich Mehrwertsteuer. 287 Seiten liegen nun vor, die vor ein paar Tagen den Sicherheitsbeauftragten der Bundestagsfraktionen vorgestellt wurden. Das von Verwaltung und Polizei angestrebte Ziel: Neue Ausweise mit sogenannten RFID-Chips sollen den Pförtnern die Arbeit leichter machen und „weitaus höheren“ Sicherheitsanforderungen genügen, wie es in der Studie heißt.

Für die Bundestagsabgeordneten selbst ändert sich nichts. Denn wer an den Pforten des Bundestages arbeitet, muss ein gutes Personengedächtnis haben – und sollte zumindest die Gesichter der 631 Abgeordneten kennen. Sie brauchen sich nicht auszuweisen, wenn sie an ihren Arbeitsplatz wollen, gelten als ein „definierter Kreis von vertrauenswürdigen Personen“, der „jederzeit“ ins Parlament darf und dabei sogar zusätzlich bis zu sechs Gäste mitbringen kann. Anders sieht es aus für die Mitarbeiter der Abgeordneten, akkreditierte Journalisten oder Lobbyisten: Diese benötigen eine Plastikkarte, um Zugang zum Reichstag oder zu den Abgeordnetenbüros zu bekommen.

„Es werden keine personenbezogenen Daten über den Zutritt gespeichert“

Anders als der US-Kongress ist der Bundestag kein offenes Parlament. In Washington zum Beispiel können Bürger nach dem Passieren einer Sicherheitskontrolle nach Belieben Abgeordnete aufsuchen. Im Bundestag hingegen könnte es künftig noch etwas abgeschotteter zugehen. Die Parlamentsverwaltung jedenfalls plant, die bisherige Sichtkontrolle an den Eingängen um ein Chipkartensystem zu erweitern. Technisch ist das ohne Weiteres möglich, das zeigt die dem Tagesspiegel vorliegende Fraunhofer-Studie.

In der „Kurzzusammenfassung für das Management“ – so wird die Parlamentsverwaltung in der Studie genannt – versichert das Institut, dass auf dem Chip „keine Daten oder Berechtigungen des Hausausweisinhabers gespeichert“ würden. Auch Bewegungsprofile sollen demnach nicht erfasst werden: „Es werden keine personenbezogenen Daten über den Zutritt gespeichert.“

Geplant sei lediglich, dass auf den Bildschirmen der Pförtner nach Einlesen des Ausweises das Foto des Inhabers im Großformat erscheint. Ob das immer so bleiben wird? „Weiterführende Ausbauoptionen sind zu beschreiben, jedoch ausschließlich als Optionen zu betrachten, die jeweils einer Betrachtung im Einzelfall bedürfen“, heißt es. Und zu möglichen Tücken steht unter Punkt 16.4 auf Seite 187: "Die Restrisiken können erst für ein konkretes System bzw. die eingesetzten Produkte ermittelt werden."

Was die Einführung eines neuen Hausausweissystems mit Lesegeräten, Bildschirmarbeitsplätzen, Verkabelung und Hardware kosten würde, ist unklar – Schätzungen reichen bis zu einer halben Million Euro. Klar ist schon jetzt allerdings, dass die Einführung nicht ohne Widerstände im Parlament durchzusetzen ist. „Große Bedenken“ gibt Grünen- Parlamentsgeschäftsführerin Katja Keul zu Protokoll. Sicherheitsrelevante Vorfälle habe es in den vergangenen Jahren „so gut wie nicht gegeben“, sagt sie. Und auch wenn Bedenken in Bezug auf die Erstellung von Bewegungsprofilen womöglich ausgeräumt wurden: Im Zusammenhang mit dem NSA-Skandal seien „völlig neue Fragen aufgetaucht, auf die die Studie keine Antworten gibt, insbesondere wenn es um die Möglichkeiten externer Manipulation geht“.

Ob die GroKo die Pläne umsetzen wird, ist noch offen

Ähnlich skeptisch ist die Linksfraktion. „Der qualitative Sicherheitsgewinn würde nicht erhöht“, sagt deren Parlamentsgeschäftsführerin Petra Sitte. Sie nennt die Pläne „kontraproduktiv“, denn: „Das passt nicht zu unserer Philosophie vom Bundestag als offenes Haus.“

Ob die GroKo die Pläne letztlich mitträgt, ist offen. Bernhard Kaster, Parlamentsgeschäftsführer der Union, kündigt an, dass die „umfangreiche Machbarkeitsstudie“ von Fraunhofer „jetzt analysiert und beraten wird“. Der CDU-Politiker versichert: „Die Fraktion unterstützt die Bemühungen, das Hausausweissystem als zentrales Element für die Zutrittskontrolle beim Bundestag zu optimieren und damit auch die Mitarbeiter an den Pforten mit einem datenschutzrechtlich unbedenklichen System bei der Zutrittskontrolle zu unterstützen.“

Vorsichtig optimistisch ist SPD-Parlamentsgeschäftsführerin Bärbel Bas: „Grundsätzlich stehen wir den aktuell diskutierten Vorschlägen zur Verbesserung bei den Einlasskontrollen positiv gegenüber. Es gibt allerdings noch einige offene Fragen, die hier geklärt werden müssen.“ Ganz geklärt ist die Frage, ob mit einem RFID-Chip perspektivisch auch Bewegungsprofile erstellt werden können, offenbar nicht.

Auch tausende Handwerker und Lieferanten haben privilegierten Zutritt

Der Ältestenrat hatte die Studie bereits 2012 in Auftrag gegeben. Schon damals wurde darüber diskutiert, wer eigentlich Zutritt haben soll zu den Parlamentsgebäuden. Und so lange wird auch schon darüber nachgedacht, aus Sicherheitsgründen ein Chipsystem einzuführen. Aufgeschreckt worden war die Bundestagsverwaltung im Jahr 2009: Damals hatten sich Kletteraktivisten von Greenpeace an der Fassade des Reichstags abgeseilt – die Ausrüstung hatten sie am Sicherheitscheck vorbeigeschmuggelt, was zu der Vermutung führte, dass sie sich mit einem Hausausweis Zugang zum Parlament verschafft hatten.

Nach Auskunft der Parlamentsverwaltung besitzen im Moment rund 25 000 Menschen Hausausweise – mit unterschiedlich langen Gültigkeitsdauern. Auch tausende Handwerker und Lieferanten, die oft im Bundestag zu tun haben, haben privilegierten Zutritt. Umstritten bleibt aber vor allem die Langzeit-Akkreditierung von Lobbyisten. Sie können einen Ausweis erhalten, wenn ihr Verband in der öffentlichen Verbändeliste eingetragen ist, bis zu einer Höchstgrenze von fünf Ausweisen pro Verband. Alternativ reicht auch die Zustimmung eines Parlamentarischen Geschäftsführers. Hier wurden die Kriterien verschärft: Bis 2012 genügte die Fürsprache von fünf Abgeordneten.

Ob sich die Zahl der zutrittsberechtigten Lobbyisten dadurch verringert hat, ist unklar – insgesamt steigt die Zahl der Hausausweise eher noch, zum Ärger von Organisationen wie Lobby Control. Unterstützt werden deren Bedenken auch von den Oppositionsfraktionen. „Problematisch ist die hohe Anzahl der vergebenen Hausausweise“, sagt Grünen-Politikerin Keul. „Dieses Problem wird aber durch elektronische Kontrollen nicht gelöst.“

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 03. Juni 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag in Sitzungswochen des Bundestages erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie jeweils bereits am Montagabend im E-Paper des Tagesspiegels lesen. Ein Abonnement des Tagesspiegels können Sie hier bestellen:

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