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Ausweiskontrollen am Grenzübergang.

© Privat

Raphael Gellrich, Paul-Klee-Grundschule: Der 9. November im Jahr 1989

Raphaels Vater erlebte als Ordnungskraft den Mauerbau mit. Dass diese noch 28 Jahre lang stehen würde, damit hatte er nicht gerechnet.

An diesem Tag, es war abends, war ich auf einer Dienstreise in Berlin. Ich wollte mich gerade auf den Heimweg machen, denn in Potsdam, bei mir zu Hause, wartete meine Frau. Ich ging die Mohrenstraße entlang Richtung S-Bahnhof Friedrichstraße, wo auch der Checkpoint Charlie war. Aber  meine Gedanken waren ganz woanders: Auf der Dienstreise in Berlin nahm ich an einer Beratung teil. Aber mittendrin war ein Mann herein geplatzt und hatte verkündet, dass die Mauer jetzt, heute am 9. November 1989 endlich geöffnet worden sei! Meine Gedanken schweiften wieder ab. Ich war jetzt gleich bei dem S-Bahnhof. Ich wollte dann mit der S-Bahn nach Karlshorst fahren, dann umsteigen und mit dem Zug über Schönefeld nach Potsdam fahren.

"Zwischen den Menschen wurde die Straße zugemauert"

Meine Gedanken kehrten zurück; sie konzentrierten sich auf das hier und jetzt. Ich war in Eile. Die Züge in Karlshorst fuhren nämlich nur stündlich. Ich bog um eine Ecke und sah einen riesigen Menschenauflauf. Sie standen alle Schlange am Grenzübergang Friedrichstraße. Alle wollten in den Westen, aber es mussten ihre Ausweise noch kontrolliert werden. Ich blieb wie angewurzelt stehen. Tausend Gedanken schossen mir durch den Kopf und ich fühlte mich verunsichert. Ich bekam Angst: "Was ist, wenn das Institut geschlossen würde?" Ich blickte hoch zur Mauer und da kam mir die Erinnerung. Die Erinnerung an den 13. August 1961: Ich war damals Student an der ABF und wurde am 13. August aus meinen Semesterferien zurückgerufen, um als Ordnungskraft in der Nähe der Schönhauser Allee zu dienen. Ich war dort zusammen mit einer Handvoll Studenten, die ebenfalls für Ordnung sorgen sollten. Es war eine bedrückende Situation: Die Menschen auf der Ost- und die Menschen auf der Westseite riefen sich etwas zu und winkten weinend mit Taschentüchern ihren Freunden und Bekannten zu. Zwischen den Menschen wurde die Straße zugemauert. Es war schrecklich, das mit anzusehen und wir befolgten unsere Anweisungen für Ruhe und Ordnung zu sorgen nicht. Wir waren uns damals sicher, dass die Mauer nur kurzfristig stehen, und dass der Osten mit dem Westen verhandeln würde. Darin hatten wir uns getäuscht. Die Mauer würde noch 28 Jahre lang stehen bleiben und erst am 9.November 1989 fallen.

Ein Ruf holte mich zurück. Es war ein DDR-Bürger, der in der Schlange stand und in den Westen wollte. Er funkelte mich böse an. Für einen Moment wunderte ich mich, doch dann kam die Lösung: Ich hatte meinen feinen Anzug an und die Menschen dachten wohl, ich sei von der Stasi (Staatssicherheitsdienst). Ich ging schnell an ihnen vorbei und stieg in eine S-Bahn ein. Ich dachte an meine Tochter, die jetzt in einem Studentenwohnheim in Rostock war und jetzt bestimmt lernte oder Nachrichten schaute. Ich dachte über die Mauer nach: "Eigentlich hatte die Mauer gar keine Auswirkungen auf das Leben meiner Familie gehabt. Jedenfalls nicht so viel".

PS: 1991 wurde tatsächlich mein Institut geschlossen und ich war arbeitslos.

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