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Brandenburg: Achtung, Gefährdungsindikator

Brigitte Grunert über die Sprache der Politiker

Aus aktuellem Anlass debattierte das Abgeordnetenhaus kürzlich über den Kinderschutz. Die Presse hatte über mehrere Fälle von Kindesvernachlässigung und Kindesmisshandlung berichtet. Bei Margrit Barth von der Linkspartei/PDS, die an einen Monate alten Antrag der Koalitionsfraktionen erinnerte, hörte sich das so an: „Der Antrag zielt unter anderem auf die Stärkung eines stadtweiten und sozialraumbezogenen Zusammenwirkens von Einrichtungen, Institutionen, und orientiert ausdrücklich auf die Einbeziehung von Erkenntnissen und Erfahrungen auch der freien Träger.“

Du liebe Güte, bei so abstrakten Worten wird man müde, und sei das Thema noch so aufregend. Welche Institutionen, Einrichtungen und freien Träger? Falls jemand bis zum Ende der Rede zugehört hat, wurde ihm endlich klar, dass das Zusammenwirken zwischen Jugendämtern, Kindertagesstätten, Schulen, Polizei und auch Nachbarn gemeint war. Aber worauf orientiert gleich der Antrag? Es ist immer gut, sich zu orientieren, zum Beispiel an praktischen Erfahrungen. Nur orientieren Bürokraten immer häufiger auf etwas. Es fällt schwer, mit dieser qualligen Floskel einen vernünftigen Satz zu bilden. Sie gehört einfach auf den Sprachindex.

Auf die schwer verdauliche folgte eine luftige Aussage. „Der Senat, die Bezirke handeln, und trotzdem ist jedes vernachlässigte oder misshandelte Kind eines zu viel“, meinte die Abgeordnete. Wäre es etwa kein armes Kind zu viel, wenn Senat und Bezirke nichts täten? Schließlich versicherte sie: „Mit dem Wegweiser für die Berliner Jugendämter hat der Senat ein Instrument geschaffen, um mutiges, schnelles und entschlossenes Handeln zu befördern.“ Man darf grübeln, was daran mutig ist, wenn sich die Jugendämter einschalten. Und wieso ist ein Leitfaden ein Instrument, mit dem man obendrein etwas befördert? Die Post befördert Briefe und Pakete, die Bahn befördert Personen. Handeln kann man nur fördern; die Vorsilbe ist folglich fehl am Platz.

Nichts gegen Netzwerke, in denen alle Hand in Hand arbeiten. Netzwerke seien nötig, sagte Kerstin Richter-Kotowski (CDU), „um Ressourcen und Kompetenzen zu bündeln“. Wieso einfache, klare Worte, da es komplizierte, unklare gibt? Gewiss muss man Anzeichen nachgehen, die darauf hindeuten, dass es ein Kind zu Hause schlecht hat, und sich auch um Familienprobleme kümmern. Christa Müller (SPD) sprach großartig von einem „handlungsrelevanten Gefährdungsindikator“. Und Ramona Pop (Grüne) empfahl „Eltern-Coaching“, als ginge es darum, Eltern wie Sportler, Show-Stars oder Manager zu trainieren. Ach, warum müssen Politiker wie in einer Geheimsprache reden, nochzumal in öffentlicher Debatte? Darf sie keiner verstehen?

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