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Brandenburg: Blackout bei der Bremsprobe

Prozess um Unglück von Elsterwerda: Wegen Hektik bei Zugabfertigung unterblieb genaue Prüfung

Von Sandra Dassler

Cottbus. Durch die großen Fenster des Verhandlungssaals kann man den Schnee auf den Gebäuden rund um den Cottbuser Gerichtsberg sehen. Doch Hagen T. (38) schaut nicht aus dem Fenster. Mit gesenktem Kopf sitzt der ehemalige Lokführer aus Hoyerswerda auf der Anklagebank des Landgerichts. Auch sein Eisenbahnerkollege aus Berlin hebt selten den Blick. Gerade hat der Staatsanwalt die Anklage verlesen.

Danach konnte am 20. November 1997 ein von Hagen T. gefahrener Güterzug mit 22 Kesselwagen im Bahnhof der südbrandenburgischen Kleinstadt Elsterwerda nicht bremsen, entgleiste und geriet in Brand. Ein Tankwagen explodierte, zwei Feuerwehrmänner starben, sieben weitere wurden schwer verletzt. Fahrlässige Tötung in zwei Fällen, fahrlässige Körperverletzung in sieben Fällen, sowie gefährliche Gefährdung des Bahnverkehrs wird den beiden Männern vorgeworfen. Von denen will keiner bestreiten, dass sie möglicherweise Fehler begingen und dadurch den Unfall verschuldeten.

Triebfahrzeugführer Hagen T. soll laut Anklage beim Ankoppeln seiner Lok an den Kesselwagenzug vergessen haben, die Bremsventile zu öffnen. Das hat zur Folge, dass die Bremsen der Waggons nicht mit Luft versorgt werden und demzufolge nicht funktionieren. Aus gutem Grund darf deshalb kein Zug nach einem Lokwechsel den Bahnhof ohne eine Bremsprobe verlassen. Bei dieser kontrolliert ein Zugvorbereiter, ob die Bremsen bis zum letzten Wagen nach dem Erhöhen oder Vermindern des Luftdrucks von der Lokomotive aus an den Rädern anlegen beziehungsweise sich wieder lösen.

Zugvorbereiter war der 44-jährige Andreas N. Der bemerkte, dass die Bremsen nicht reagierten und löste sie daraufhin an jedem einzelnen Waggon mit der Hand, was eine zweite Bremsprobe erfordert hätte. Doch die unterblieb. Über den Grund gehen die Angaben der beiden Angeklagten auseinander: Zugvorbereiter Andreas N. sagte vor Gericht, er habe dem Lokführer mitgeteilt, dass er die Bremsen an den Waggons manuell lösen würde, so dass beiden klar gewesen sei, dass hinterher eine zweite Bremsprobe erfolgen musste. Lokführer Hagen T. will das nicht gehört haben. Seiner Version nach hat Andreas N. ihm sogar gemeldet: „Bremsen in Ordnung“. Der Berliner Zugvorbereiter bestreitet das vehement. Er sei vielmehr erstaunt gewesen, dass der Lokführer, während er einen Fahrplan vom Stellwerk holte, bereits bis zum Ausfahrsignal vorgefahren sei – ohne zweite Bremsprobe.

Warum er diese nicht trotzdem durchführte, ist dem Berliner Eisenbahner auch heute noch nicht klar. Von einem Blackout ist die Rede, aber auch davon, dass der Lokführer ihm bedeutet habe, dass er spät dran sei und nach acht Stunden Dienst endlich los wolle. „Ich wollte ihm doch nicht den Feierabend verderben, ich war in Hektik, weil ich zeitgleich zwei andere Züge abfertigen musste, ich habe in diesem Moment einfach nicht mehr an die Bremsprobe gedacht.“

Wenn die Version des Zugvorbereiters stimmt, dann hätte auch der Lokführer auf einer zweiten Bremsprobe bestehen müssen. Vor allem diese Frage wird das Gericht an den kommenden Verhandlungstagen zu klären versuchen.

Noch wichtiger dürfte sein, ob sich der Vorwurf der fahrlässigen Tötung beziehungsweise Körperverletzung aufrechterhalten lässt. Das Gericht hat dazu zahlreiche Gutachter geladen.

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