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Manfred L.

© privat

Cottbus: Abschied von Manne

Seine Leidenschaft war das „Containern“, und in einem Abfallbehälter ist er auch gestorben. Einen Grabstein wird es für Manfred L. wohl nicht geben, die Stadtverwaltung hat bisher keine Verwandten gefunden.

Von Sandra Dassler

Seine Freunde haben sich gestern Abend getroffen, sich an ihn erinnert. Dass es mit Manfred L. nicht mehr lange gut gehen konnte, war ihnen schon klar. Aber so ein Ende? Gestorben im Abfallcontainer, auf der Suche nach dem, was andere wegwerfen. „Ein Scheißtod!“ sagt Sven E.: „Den hat Manne nicht verdient.“

Es war am Montag nach Muttertag. Der „Fund“ im Abfallcontainer eines Cottbuser Supermarktes war vielen Zeitungen eine Meldung wert – jedenfalls so lange unklar war, ob sich dahinter ein Verbrechen verbarg. Das Interesse erlosch, als sich herausstellte, dass der Mann im Container an einem Herzinfarkt starb und, wie zunächst vermutet wurde, ein „obdachloser Trinker“ war. „Das ist nicht wahr“, regt sich Sven E. auf: „Manne hat gearbeitet und ’ne Wohnung hatte er auch. Er war ein lustiger Mensch. Und einer, der immer auch an andere gedacht hat.“

E. muss es wissen, der 31-jährige Pizzafahrer hat neben Manfred L. gewohnt, in einem Altbau mitten in Cottbus. Manchmal habe ihn sein Nachbar genervt, erzählt er. Wenn er mitten in der Nacht plötzlich Gitarre oder Trompete spielte, zum Beispiel: „Aber dann kam er wieder und hat uns Lebensmittel gebracht.“

„Containern gehen“ sei eine Leidenschaft von Manfred L. gewesen. Nicht, weil er die Sachen zum Überleben brauchte, sondern weil es ihm gegen den Strich ging, was Supermärkte alles wegwarfen: Wurstdosen etwa, die nur leicht eingedrückt waren. Dass ihm das Containern nun zum Verhängnis wurde, sei typisch, findet E.: „Der konnte auch mit 60 keine ruhigere Gangart einlegen. Obwohl sie ihn wegen seiner Herzprobleme schon operiert hatten.“

E. war damals mit im Krankenhaus. Verwandten von Manfred L. ist er nie begegnet. „Er hat mal von ’ner Ex-Frau und ’nem Kind erzählt“, sagt er: „Muss aber lange her sein.“ Der Tod seiner Eltern, vor allem aber seines Bruders habe Manfred L. sehr mitgenommen. Getröstet haben ihn die Musik, der Alkohol und die Kumpel.

Auch deshalb haben sie gestern noch einmal seine Lieder gesungen. Kamen aus Berlin, Thüringen und Dresden nach Lacoma, einem Dorf bei Cottbus, dessen Häuser meist schon abgebaggert sind. Geopfert dem Braunkohletagebau. Dort hatten sie sich einst kennengelernt: Manfred L. und Sven E. und auch Daniel Häfner, der Sprecher der „Freunde von Lacoma“ war, die lange gegen die Abbaggerung kämpften: „Manne war dabei“, sagt Häfner: „Hat bei Kinderfesten in der Gulaschkanone gekocht, seine geangelten Fische gebraten. Oder einfach nur Lieder gesungen.“ Sein Lacoma-Lied zum Beispiel kommt sogar in dem Film „Lacoma und der Konzern“ vor. Man hört Manfred L. singen: „Lacoma, bleib’ wie du bist: so einfach, so ehrlich ...“. Sentimental, ja, aber das wird man wohl, wenn selbst der eigene Geburtsort längst in der Braunkohle-Grube verschwunden ist.

Einen Grabstein wird es für Manfred L. wohl nicht geben, die Stadtverwaltung hat bisher keine Verwandten gefunden. Deshalb bekommt er eine Sozialbestattung in einer anonymen Urnen-Gemeinschaftsanlage. Seine Freunde werden in Lacoma ein Holzkreuz aufstellen. Dort war er glücklich, genau wie bei seiner Arbeit im Branitzer Park, beim Angeln, Radfahren oder auf der Probier-Bühne im Cottbuser Club „Muggefug“.

Am vorletzten Sonntag hat sich Manfred L. noch einen Kochtopf bei ihm geborgt, erzählt Sven E.: „Wie immer, wenn er containern gehen wollte. Am nächsten Morgen hatte er den Topf dann jedes Mal im Flur abgestellt – sauber und gespült.“

Dieses Mal stand am nächsten Morgen kein Topf im Flur.

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