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Brandenburg: Entsetzen allein reicht nicht

Sandra Dassler

In Frankfurt lässt eine junge Frau ihre beiden kleinen Jungen in der Wohnung verdursten. In Strausberg wird der einjährige Pascal über Monate gequält und von seinem Stiefvater zum ewigen Pflegefall geprügelt. In Cottbus vegetiert ein Junge jahrelang vor sich hin, wird nach seinem Tod in einer Tiefkühltruhe versteckt, und zweieinhalb Jahre lang fragt keiner ernsthaft nach: Wo ist Dennis?

Und immer wieder stehen wir entsetzt vor den Dramen, die sich in deutschen Familien abspielen – in einem Land, wo eigentlich keiner zu hungern braucht. Die Geschichte von Dennis ist nicht nur wegen seines makabren „Grabes“ so erschütternd. Die Cottbuser Sozialdezernentin Christina Giesecke hat es auf den Punkt gebracht: „Wir müssen uns vor allem fragen, warum das Leiden des kleinen Dennis vor seinem Tod nicht entdeckt wurde – obwohl unser Jugendamt die Familie betreute. Wir müssen die Fehler des Systems erkennen, um ähnliche Fälle zu vermeiden. Ganz ausschließen werden wir sie nie können.“

Das zeugt von Selbstkritik und Realismus. Denn auch wenn wir jetzt, um uns selbst zu beruhigen, fieberhaft nach Schuldigen und Mitschuldigen suchen – es gibt keinen absoluten Schutz für Kinder wie Dennis und Pascal. Das entbindet Politiker nicht davon, akribisch und konsequent zu untersuchen, wie es dazu kommen konnte, dass das Verschwinden eines Kindes über einen so langen Zeitraum unentdeckt blieb.

Momentan ist von dieser Konsequenz wenig zu spüren. So waren die Mitarbeiter im Bildungs- und Sozialministerium noch Tage nach Bekanntwerden des tragischen Falls erschreckend schlecht informiert. Die Schulbehörden sind noch immer die Erklärung schuldig, warum das Fehlen von Dennis drei Jahre lang keine Konsequenzen hatte. Das ist ein Skandal!

Aber auch jene Landespolitiker, die das Schicksal des kleinen Jungen im Wahlkampf zu nutzen versuchten, offenbarten bislang wenig Sachkenntnis. Vor diesem Hintergrund wäre es geradezu grotesk, die Fachaufsicht über die Jugendämter von den Landkreisen und kreisfreien Städten auf das Land zu verlagern, wie Beate Blechinger fordert. Die Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion begründet das damit, dass das Personal der Ämter überfordert sei. Sie muss sich allerdings fragen lassen, was die Landesregierung bislang dagegen unternommen hat. Da geht es natürlich auch um Geld. Die Jugendämter haben oft nicht einmal genügend Mittel, um jedem Sozialarbeiter wenigstens einmal im Jahr einen Tag lang die Möglichkeit zu geben, mit einem geschulten Trainer die in diesem Beruf unvermeidlichen psychischen Belastungen aufzuarbeiten.

Und dennoch machen wir es uns zu einfach, wenn wir jetzt lediglich mit den Fingern auf Behörden und Politiker zeigen. Die tragischen Schicksale der Kinder aus Frankfurt, Strausberg und Cottbus hätten vermieden werden können, wenn nur ein einziger Mensch nicht weggeschaut oder ernsthaft nachgefragt hätte. Entsetzen allein reicht nicht. Alle Familien hatten Nachbarn, Verwandte und Freunde. Alle Familien lebten mitten unter uns.

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