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Ermyas-M.-Prozess: Die Attacke bleibt vorerst ungesühnt

Prozess endet 14 Monate nach dem beinahe tödlichen Schlag mit Freisprüchen. Ob die Tat einen rassistischen Hintergrund hatte, ist nicht geklärt.

Von Frank Jansen

Am Ende gaben sich alle zufrieden, sogar Ermyas M. verzichtete weitgehend auf klagende Worte. „Ich fühle mich ausgeglichen“, sagte der Deutschäthiopier noch im Gerichtssaal, belagert von Kameras und Mikrofonen. Eine halbe Stunde zuvor hatte der Vorsitzende Richter der 4. Großen Strafkammer des Potsdamer Landgerichts, Michael Thies, das allseits erwartete Urteil verkündet: Freispruch für die Angeklagten Björn L. und Thomas M., außerdem erhalten sie eine finanzielle Entschädigung für die Zeit in der U-Haft – mehr als vier Monate waren es bei L.. So endete nach 20 Verhandlungstagen, in denen über 80 Zeugen sowie acht Sachverständige gehört wurden, einer der spektakulärsten Prozesses in der Geschichte des Bundeslandes Brandenburg – mit einem gerecht erscheinenden und doch unbefriedigenden Urteil. Wer in der Nacht zum 16. April 2006 in Potsdam mit einem Faustschlag Ermyas M. beinahe getötet hat, bleibt unaufgeklärt.

Die Indizien seien für eine Verurteilung der beiden Angeklagten „nicht tragfähig“, sagte Richter Thies in der Urteilsbegründung. Die Kammer folgte weitgehend dem Plädoyer von Staatsanwältin Juliane Heil, die am Mittwoch auf Freispruch plädiert hatte. Ähnlich wie Heil betonte Thies, es gebe „Indizien für die Täterschaft“ der Angeklagten, „sie sind auch nicht verschwunden“. Doch von diesen Indizien ließ er in einer kurzen Analyse nicht viel übrig. Ein Beispiel: Die Aussage von Zeugen, die auf einer veröffentlichten Mobilbox-Aufnahme mit „Nigger“-Sprüchen aus der Tatnacht die hohe Stimme von Björn L. alias „Piepsi“ erkannt haben wollten, bezeichnete die Kammer als „naturgemäß subjektive Einschätzung“ – ihr stünden Aussagen gegenüber, dass L. damals an einem Atemwegsinfekt litt und seine Stimme heiser klang.

Ein Gutachter hatte die Wahrscheinlichkeit, man könne trotz einer solchen Erkrankung auch mit normaler Stimme sprechen, auf zehn bis 20 Prozent geschätzt. Bei dieser Sachlage könne die Kammer nicht postulieren, dass Björn L. zur Tatzeit eine normale Stimme hatte, sagte Thies. Damit sei der klassische Fall des juristischen Grundsatzes „im Zweifel für den Angeklagten“ gegeben.

Bei Thomas M., den die Anklage unter anderem durch eine DNA-Spur vom Tatort belastet sah, verhält es sich für die Richter ähnlich. Da das Landeskriminalamt das genetische Material an einer Flaschenscherbe theoretisch bis zu fünf Personen zuordnete, habe sich diese Spur „als nicht belastbar erwiesen“, sagte Thies.

Der Richter äußerte sich kritisch zur Aufregung in Politik und Medien nach der weitgehend als rassistisch bewerteten Tat. Das Verfahren sollte Gelegenheit geben, darüber nachzudenken, ob sich die Hysterie wiederholen darf, mahnte Thies. Andererseits schließt die Kammer ein politisches Motiv auch nicht aus. „Ein fremdenfeindlicher Hintergrund dieser Tat ist möglich“, sagte Thies, „aber wir wissen es bis heute nicht.“ Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), der den Rassismusverdacht und die zeitweise Übernahme der Ermittlungen durch den damaligen Generalbundesanwalt Kay Nehm damals heftig kritisiert hatte, reagierte mit einem Appell zur Besonnenheit: „Es zeigt sich exemplarisch, dass es besser ist, erst den Sachverhalt zu klären und dann zu urteilen“, sagte Schönbohm.

Björn L. und Thomas M. klagten, durch das 14 Monate dauernde Ermittlungs- und Strafverfahren hätten sie finanzielle Probleme bekommen. Ermyas M. lobte das Gericht für die umfangreiche Wahrheitssuche – und deutete an, dass er unter den schweren Verletzungen, obwohl körperlich geheilt, psychisch weiter leide.

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