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Brandenburg: Geliebte Erzieher

In Cottbus arbeiten junge Männer in Kitas: Kinder sind begeistert, die OECD lobt das Projekt. Die Arbeitsagentur findet es überflüssig

Von Sandra Dassler

Cottbus - Die Kinder hatten ihn gern. Und er die Kinder. Nach einer Weile so sehr, dass er ihnen sogar den Po säuberte, wenn gerade keine Erzieherin greifbar war. „Ich habe nie gedacht, dass ich so was kann“, sagt er. Dabei glaubte Steffen Simon an eine Verwechslung, als er im Juli 2003 als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme angeboten bekam, ein Jahr in eine Kita zu gehen. Schließlich hatte der 23-Jährige Elektroinstallateur gelernt, war aber schon länger arbeitslos. Bei einem Eignungsgespräch mit der Berlin-Brandenburger Väterinitiative e.V. erfuhr Steffen Simon Näheres über das Projekt. „Wir wollten junge Erwerbslose erreichen, die Männerberufe erlernt haben und sich nicht vorstellen können, im sozialen Bereich zu arbeiten“, sagt Jürgen Schlicker, der die Idee hatte.

Der Name ist nicht übertrieben. „Ob beim Fußball, Basteln oder nur Rumtoben – die Männer sind von den Kindern umschwärmt worden“, erzählt Elfi Feurich. Sie leitet die Kita „Freundschaft“ in Cottbus. Wie in allen Kindereinrichtungen arbeiten hier fast nur Erzieherinnen. Besonders problematisch ist das für Sprösslinge von allein erziehenden Müttern. Sie haben es bis zum Ende der Grundschule fast nur mit Frauen zu tun. Die Mädchen und vor allem die Jungen – das wissen Pädagogen und Kinderpsychologen längst – brauchen aber auch männliche Vorbilder.

„Und junge Männer, die keine Aussicht auf Beschäftigung in ihrem Beruf haben, brauchen eine Perspektive“, sagt Jürgen Schlicker. Deshalb hat er das Projekt gestartet. 14 Arbeitslose gingen ab August 2003 für ein Jahr in zehn Cottbuser Kitas. Und es hat funktioniert: Maurer und Kfz-Mechaniker entdeckten ihre Freude an der Arbeit mit Kindern – nicht urplötzlich, aber allmählich. „Es ist anders als die Arbeit als Installateur“, erzählt Steffen Simon: „Man wird gefordert, bekommt aber auch viel zurück.“ Das Projekt wurde ein großer Erfolg – zwei der vierzehn jungen Männer entschieden sich nach ihrem Kita-Jahr für eine Umschulung zu Altenpflegern. Einer begann ein Pädagogikstudium und vier, darunter Steffen Simon, machen in Eisenhüttenstadt eine Fachschulausbildung zu Erziehern . Umso größer war die Enttäuschung bei der Väterinitiative, als ihnen die Arbeitsagentur mitteilte, noch einmal könne man ein solches Projekt höchstens für fünf Monate fördern. Schließlich gäbe es genug arbeitslose Erzieherinnen und keine Chance, dass die Geförderten nach dem Jahr einen Job in der Kita erhielten.

Vergeblich verwiesen Kita-Leiterinnen und -träger darauf, dass es momentan zwar keinen Bedarf an Erzieherinnen, aber großes Interesse an männlichen Erziehern gibt. Vergeblich argumentierte die Väterinitiative, dass es nicht um schnelle Jobvermittlung für die jungen Männer geht, sondern um Neuorientierung auf den zukunfsträchtigen sozialen Bereich. Umsonst intervenierte Ex-Bildungsminister Reiche bei der Cottbuser Arbeitsagentur – dort hält man eine längere Förderung des Projekts für „Verschwendung von Steuergeldern“.

„Das ist so formalistisch und kurzsichtig“, sagt Elfi Feurich: „Mal abgesehen vom sofortigen Nutzen für die Kinder wird sich der Bedarf an Erziehern in zehn Jahren dramatisch verändert haben.“ Nach der Wende, erzählt sie, wurden vor allem jüngere Erzieherinnen entlassen, weil sie weniger Abfindung erhielten. Deshalb sei das Personal in Kitas und Grundschulen hoffnungslos überaltert.

Die Väterinitive hat im Herbst dieses Jahres trotz allem wieder ein Projekt – wenn auch nur für fünf Monate – gestartet. Wieder freuen sich Erzieherinnen, Eltern und vor allem die Kinder über die Verstärkung. Wieder sind die zunächst skeptischen jungen Männer begeistert – Marko Borrmann beispielsweise, der in der Kita „Freundschaft“ die Nachfolge von Steffen Simon angetreten hat. Der 23-Jährige findet es nur traurig, dass seine ABM schon in wenigen Monaten endet: „Da hat man gerade ein Vertrauensverhältnis zu den Kindern aufgebaut“.

Nachdem die unlängst vorgestellte OECD-Studie zur „Politik der frühkindlichen Betreuung, Bildung und Erziehung“ das Projekt in Cottbus als international beispielgebend und eines der wenigen positiven Beispiele in Deutschland überhaupt erwähnte, haben Marko Borrmann, Kitaleiterin Elfi Feurich, Jürgen Schlicker von der Väterinitiative und alle anderen Betroffenen wieder Hoffnung, dass das Projekt doch weitergeführt werden kann. Auch im Potsdamer Bildungsministerium bemüht man sich um eine Lösung.

Steffen Simon büffelt inzwischen beim Erzieherstudium Psychologie und Pädagogik. Natürlich sei es hart, nochmal die Schulbank zu drücken, sagt er. Aber wenn er mal die Nase voll habe, denke er an „seine“ Kinder in Cottbus: „Das zieh’ ich durch. Ich weiß ja, wofür.“

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