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Brandenburg: Gewaltverbrecher noch nicht gefasst: Triebtäter Schmökel ist stets präsent

Es ist vor Stunden dunkel geworden. Viele Straßen in Straußberg sind spärlich beleuchtet.

Es ist vor Stunden dunkel geworden. Viele Straßen in Straußberg sind spärlich beleuchtet. Herbstblätter fegen durch leere Gassen. Doch vor der Norma-Einkaufsfiliale in der Bahnhofsstraße fällt Neonlicht durch große Scheiben auf den Parkplatz. Kein Mensch regt sich zwischen den Einkaufsregalen. Die Kassen sind mit Plastikhauben bedeckt. Ein Ball, der immer wieder auf Teer schlägt, ist zu hören. Es sind spielende Kinder. "Ich weiß, wie ich meine kleine Schwester vor Schmökel schützen kann." sagt der 17-jährige Steven Eisermann. Die neunjährige Maria zeigt auf einen Baseballschläger, der neben dem Fahrrad ihres großen Bruders liegt. Auch die 14-jährige Melanie fühlt sich bei Steven sicher. Nur wenn sie in den Morgenstunden alleine zur Schule laufen musste, habe sie sich schon gefürchtet. Ihre Eltern haben ihr verboten am Wald entlang zu gehen, seitdem nimmt sie Umwege in Kauf. Alle Strausberger sind in Alarmbereitschaft.

5000 Mark Belohnung kein Anreiz

Seit dem 25. Oktober haben viele Bewohner Angst vor einem großen, kräftigen, blonden Mann. Der in Strausberg geborene Frank Schmökel, der wegen mehrerer Vergewaltigungen zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, konnte bei einem Besuch bei seiner Mutter entkommen. Damit ist der gefährliche Gewaltverbrecher schon zum sechsten Mal auf der Flucht. Der über 1,90 Meter große Mann stand in den vergangenen zwölf Jahren drei Mal wegen Sexualverbrechen vor Gericht. Zuletzt wurde er 1995 wegen mehrfachen sexuellen Missbrauchs von Kindern und versuchten Mordes zu 14 Jahren Haft verurteilt.

"Wir würden uns nicht freiwillig auf einen Kampf mit diesem Psychopathen einlassen", beschreibt der 16-jährige Marino Altkrüger, der sich mit seinen Freunden an der DEA-Tankstelle an der Landhausstraße getroffen hat, die Haltung der Strausberger gegenüber Schmökel. Auch die vom Bundesinnenministerium ausgeschriebenen 5000 Mark Belohnung für Hinweise, die zur Ergreifung führen, seien kein Anreiz, sich eigenmächtig an der Suche zu beteiligen. Trotz mehr als 470 Hinweisen blieb Schmökel auch am Dienstag weiterhin spurlos verschwunden.

DNA-Analysen nach Einbrüchen

"Die Polizei ist für jeden Hinweis dankbar, doch die Angst der Bevölkerung ist begründet. Sie führt zu einer Vorsicht, die geboten ist", sagt Helmut Hahs, Büroleiter des Polizeipräsidenten in Frankfurt Oder. Schmökel sei ein intelligenter Mensch, der aber seinen Trieb nicht im Griff habe. Vor allem junge Mädchen seien gefährdet. Von Gegenwehr beim Zusammentreffen rät die Polizei ab, da Schmökel unberechenbar sei. Lautes Schreien wird bei einem Angriff empfohlen. Die Kripo in Zivil und in Streifenwagen sind mit 250 Kräften im Einsatz. Dazu kommen noch Einsatztrupps des Bundesgrenzschutzes. Auch polnische Kollegen wurden zur Mithilfe gebeten. Bis gestern morgen sind 475 Hinweise aus der Bevölkerung eingegangen. Alle Informationen werden überprüft. Doch bisher fehlt jede heiße Spur von Schmökel, der seit sieben Tagen bundesweit gesucht wird. Derzeit wird überlegt, eine internationale Suchaktion in Angriff zu nehmen. Da sich Schmökel in Strausberg auf bekanntem Terrain bewegt, wird aber davon ausgegangen, dass er seine Heimatstadt noch nicht verlassen hat.

Es gibt hier und in der Umgebung unzählige Schlupfwinkel, die für Schmökel infrage kommen. Gestern wurden alte NVA-Objekte im Umkreis von zehn Kilometer durchsucht. Seit vergangen Mittwoch werden in Zusammenarbeit mit Förstern Waldhütten, Unterstände und Heuscheunen unter die Lupe genommen. Aber auch leerstehende Wohnungen, Mülldeponien, Dachböden und sogar die Kanalisation werden nach dem Triebtäter abgesucht.

Die Polizei nimmt an, dass sich Schmökel derzeit von Würmern, Äpfeln und Abfällen ernährt, das zeigen Erfahrungen aus vorherigen Fluchtversuchen. Bisher habe Schmökel noch nie sein Äußerliches verändert. Dennoch sei dies nicht auszuschließen. Jeder Spur bei Einbrüchen, beispielsweise in eine Gartenlaube, wird mit Schmökels DNA-Analyse und Fingerabdrücken verglichen. "Wir tun alles Menschenmögliche, doch solange Schmökel nicht aktiv wird und verwertbare Spuren hinterläßt, haben wir es schwer, ihn zu finden", so Hahs.

CS-Reizgas zum Selbstschutz

Immer wenn ein großer, kräftiger Mann den Snackshop am Bahnhof betritt, wird die Verkäuferin Claudia Kirschner aufmerksam. "Ich habe Angst, vor allem in der Frühschicht." Ihr Chef hat ihr ein CS-Reizgas zur Gegenwehr gegeben, das immer griffbereit unter der Theke steht. Aber auch damit fühlt sich die junge Frau nicht sicher. Nur in Begleitung ihres Chefs traut sie sich die paar Meter vom Kiosk bis zu ihrem Auto auf den dunklen Parkplatz zu gehen. "Seit dieser Kranke frei herumläuft, verkaufe ich weniger Pommes und Hamburger an Kinder", sagt die Imbisswirtin, die das vollste Verständnis für das Wegbleiben ihrer jungen Kundschaft hat.

Anders wirkt sich die Situation auf das Gewerbe des 49-jährigen Taxifahrers Krüger Ralph aus. Seine Fahrdienste werden seit dem Untertauchen des Gewaltverbrechers häufiger in Anspruch genommen. Das hohe Polizeiaufkommen gebe ein begrenztes Gefühl der Sicherheit, vor allem Frauen und ältere Menschen hätten Angst. "Mein Beruf bringt ein erhöhtes Risiko mit sich. Ich muss immer auf einen möglichen Überfall vorbereitet sein." Sorgen macht sich der 48-jährige Taxifahrer um seine zwei Töchter und fünf Enkelkinder. "Mich macht wütend, dass man einem solchen Menschen überhaupt Freigang gewährt. Da kann ich bloß den Kopf schütteln." Wenn er in den Morgenstunden nicht weit von der Wohnung der Mutter Schmökels seinen Taxiwagen in der Heinrich Mann Straße abstellt, beschleicht ihn ein mulmiges Gefühl. Der Gedanke an Schmökel sei immer da. "Ich glaube, ganz Strausberg spricht über nichts anderes mehr."

Dorothea Flechsig

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