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Brandenburg: "Hetzjagd-Prozess": Den schweren Ärger von der Seele geredet

Die Wunden sind noch lange nicht verheilt. "Ich habe hunderte Briefe bekommen", sagt Joachim Dönitz, "die meisten waren anonym".

Von Frank Jansen

Die Wunden sind noch lange nicht verheilt. "Ich habe hunderte Briefe bekommen", sagt Joachim Dönitz, "die meisten waren anonym". Die Stimme stockt. "Eine solche Flut von Beschimpfungen habe ich noch nicht erlebt." Das Repertoire reichte von "Schandurteil" über "rechter Gesinnungstäter" bis zu Drohungen gegen ihn selbst und seine Familie. Pause. "Bemerkenswert war jedoch eines: So weit ich die Briefe örtlich zuordnen konnte, kamen alle aus dem Westen der Republik - nicht aus Cottbus, nicht aus Guben." Geschimpft worden sei auch über "die undankbaren Ostdeutschen, denen man alles in den Arsch geschoben hat und die sich nun revanchieren". Der Westdeutsche fixiert das Publikum. Die hundert Polizistinnen und Polizisten spüren: In Dönitz findet gerade ein mentaler Dammbruch statt. Er redet sich schweren Ärger von der Seele. Wenn der 60-Jährige innehält, gibt es beim Einsatzlehre-Seminar in der Spandauer Polizeischule kein Räuspern. Nur drückende Stille.

Knapp drei Monate ist es her, dass der "Hetzjagd-Prozess" zu Ende ging. Am 13. November 2000 hat Dönitz als Vorsitzender Richter der 3. Großen Strafkammer des Landgerichts Cottbus Strafen verkündet, die in den Medien und Teilen der Bevölkerung als viel zu milde empfunden wurden. Nach 17-monatigem Prozessmarathon verurteilte die Kammer nur drei der elf Angeklagten zu Haftstrafen. Das Echo war weithin negativ: Immerhin war im Februar 1999 in Guben bei der Hetzjagd junger Rassisten ein Mensch ums Leben gekommen. Der Algerier Farid Guendoul alias Omar Ben Noui verblutete, nachdem er in seiner Panik die Scheibe einer Eingangstür zertreten und sich dabei eine Knieschlagader aufgerissen hatte. Obwohl, wie Dönitz betont, die Verfolger schon aufgegeben hatten. Womit der Kammer lediglich eine Verurteilung wegen fahrlässiger Tötung möglich gewesen sei, und auch nur bei acht der elf Angeklagten.

Dönitz hält es sogar "durchaus für denkbar", dass dem Bundesgerichtshof das als milde kritisierte Urteil zu hart erscheinen könnte. Darauf hoffen zehn Angeklagte, ihre Verteidiger haben Revision eingelegt. Das ist das Einzige, was Dönitz in neutralem Tonfall zum Thema Anwälte sagt. Der Richter hat noch die unzähligen Befangenheitsanträge und persönlichen Attacken in den Knochen.

Die "Konfliktverteidigung" einiger Anwälte "hat nach meinem Eindruck der persönlichen Entwicklung der Jugendlichen massiv geschadet", sagt Dönitz. Er beschreibt den Mangel an Unrechtsbewusstsein, den das aggressive Auftreten mancher Verteidiger noch vergrößert habe. Die Angeklagten hätten gemeint, "wie kommt dieses blöde Gericht dazu, mir etwas vorzuwerfen?"

Anwälte und anonyme Briefeschreiber sind nicht die Einzigen, die Dönitz brandmarkt. Bundestagspräsident Thierse hatte während des Verfahrens dessen Dauer kritisiert - "nachdem er das Gericht zum Abschuss freigegeben hat, sind die Medien über mich hergefallen", sagt Dönitz. Ein "Provinzblättchen" habe ihm nach dem Urteil sogar unterstellt, "ich hätte meine braune Vergangenheit ausgelebt". Der Hinweis auf die Verwandtschaft mit dem Großadmiral und Hitler-Nachfolger Karl Dönitz hat den Richter härter getroffen als andere Vorwürfe. "Ich bin Jahrgang 1941 - wie kann ich da eine braune Vergangenheit haben?"

Es gab auch Trost. Ministerpräsident Stolpe habe sich für seine Kritik am Urteil entschuldigt, sagt Dönitz. Und er bekräftigt die Abneigung gegen "law and order", wozu er auch die von der Landesregierung angestrebte Verschärfung der Strafen für Körperverletzung zählt. Als Dönitz endet, wirkt er ein wenig erschrocken, über sich selbst. "Ich wollte mich gar nicht ausführlich zum Guben-Verfahren äußern", sagt der Richter. Aber es musste so viel raus, dass kein Damm mehr hielt.

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