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Brandenburg: „Nahezu jede zweite Schule wird geschlossen“

Vielen weiterführenden Schule in Brandenburg droht in den nächsten Jahren das Aus. Es gibt massive Proteste.

Vielen weiterführenden Schule in Brandenburg droht in den nächsten Jahren das Aus. Es gibt massive Proteste. Hat die Regierung keine Konzepte gegen das Schulsterben?

Doch, aber wir können nicht alle Schulen erhalten. Die Schulen, die schon in diesem Jahr die nötige Mindestanzahl neuer Schüler nicht erreichen, würden die eigentlich schwierigen Jahre ab 2003 sowieso nicht überleben. Dann gehen die Schülerzahlen so dramatisch zurück, dass wir intervenieren müssen.

Mit welchen Ziel?

Wir wollen auch in den ländlichen Regionen künftig alle Bildungsangebote in zumutbaren Entfernungen anbieten. Und wir dürfen keine Qualitätsunterschiede zwischen Stadt- und Landschulen zulassen. Die Konzepte dafür gibt es – zum Beispiel die Sekundarschule.

Der CDU-Koalitionspartner will Sekundarschulen, also die Zusammenlegung von Real- und Gesamtschulen, auf die Randregionen beschränken. Was spricht dagegen?

Ich bin mir sicher, dass wir rechtzeitig, also zum Schuljahr 2003/2004, eine Lösung verabreden. Diese kann entweder so aussehen, dass wir Sekundarschulen für den ländlichen Raum zulassen. Oder aber, dass wir dort neben den Gymnasien nur noch Gesamtschulen haben.

Die Lehrergewerkschaft GEW fordert: Weniger Schüler, kleinere Klassen.

Das ist an den Grundschulen gelungen. Brandenburg hat dort im Bundesvergleich geringe Klassenstärken. Auch bei den weiterführenden Schulen geht es in diese Richtung: Für neue 7. Klassen müssen einige Schulen in Randregionen nur noch 30 statt bisher 40 Schüler pro Jahrgang nachweisen, allerdings frühestens ab nächstem Schuljahr.

Warum nicht sofort, wie PDS und CDU fordern?

Weil Schulen, die bereits jetzt zu wenig Schüler haben, nicht mühsam erhalten werden sollten. Es ist eine ausgewogene Strategie: Die Schülerzahlen in den ländlichen Regionen gehen auf ein Drittel zurück, aber es wird weniger als jede zweite Schule geschlossen. Die weiterführenden Schulen werden durchschnittlich 400 Schüler haben - kein Vergleich zu Großschulen.

Und die Schulwege werden noch länger.

Das wird sich nicht vermeiden lassen. Eltern und Schüler haben sich vielerorts schon auf lange Schulwege eingestellt, nehmen Fahrzeiten von einer Stunde in Kauf.

Ganztags- und Internatsschulen könnten helfen.

Ja, mit 86 Ganztagsschulen – jeder dritte Gesamtschüler profitiert davon – ist Brandenburg schon jetzt Bundesmeister. Mein Ziel: Ab 2005/2006 ist jede zweite weiterführende Schule Brandenburgs eine Ganztagsschule.

Die SPD-Fraktion will eine neunjährige Einheitsschule. Ist das die richtige Antwort auf den „Pisa-Schock" oder nur Aktionismus wegen des SPD-Umfragetiefs?

Weder das eine, noch das andere. Es ist kein Gesetzgebungsvorschlag, sondern ein legitimes Diskussionsangebot, das Wünsche aus der Bevölkerung aufgreift, wo sich mancher an die zehnjährige allgemeinbildende Oberschule der DDR erinnert.

In Brandenburg wurden bereits Kopfnoten und Zentralprüfungen wieder eingeführt. Sie sinnierten über einen neuen „Tag des Lehrers", jetzt die Debatte um die Einheitsschule. Erlebt das DDR-Bildungswesen hierzulande sein Comeback?

Es geht nicht um das Wiederaufleben der Vergangenheit. Aber im Wissen um hiesige Erfahrungen kann man notwendige, in vielen Fällen sogar optimale Modelle finden. Im Übrigen: Es gibt hier keine Kopfnoten auf den Zeugnissen. Es sind Bewertungen des Arbeits- und Sozialverhaltens, die Experten für die derzeit beste Form halten.

Die hiesige SPD schlussfolgert aus Pisa: Je länger schwächere und stärkere Schüler gemeinsam lernen, desto besser. Brandenburg ist das einzige Bundesland mit einer sechsjährigen Grundschule. Werden die märkischen Schüler beim Pisa-Ländervergleich also Spitzenreiter sein?

Das ist nicht zu erwarten, weil neben vielen guten Faktoren auch negative wirken: Die getesteten Schüler haben die gesellschaftlichen Umbrüche in Ostdeutschland, in den Familien, in den Schulen, hautnah erlebt. Ich glaube, dass das ein erheblicher Nachteil ist. Schon vor Pisa ist eine umfangreiche Bildungsreform eingeleitet worden. Brandenburg braucht sich nicht zu verstecken: Wir haben bereits landesweit jene vergleichbaren Leistungstests eingeführt, die gerade auf der Kultusministerkonferenz als Standard für alle deutschen Schulen beschlossen worden sind.

Nachdem die Große Koalition das Kita-Gesetz trotz Protest novellierte, wurden vielerorts die Beiträge erhöht. Jetzt fordern Sie ein kostenloses Vorschuljahr. Was soll das?

Das Kita-Angebot in Brandenburg ist deutschlandweit immer noch das beste. Es geht mir um eine grundsätzliche Lehre: Deutschlands Bildungsturm steht schief, weil es an den Fundamenten nicht stimmt - also in den Kindertagesstätten und der Grundschule. Das beitragsfreie letzte Jahr in der Kita könnte aus der ohnehin vorgesehenen nächsten Kindergelderhöhung finanziert werden. Schließlich führt Deutschland, was ich befürworte, auch keine Studiengebühren ein.

Zunächst streichen Sie 700 Lehrerstellen.

Das sind die Fakten: Die Schülerzahl geht im nächsten Jahr um sechs Prozent zurück, aber wir werden nur drei Prozent der Lehrerstellen abbauen. Brandenburgs Schulen erhalten also mehr Geld, die Lernbedingungen werden besser.

Trotzdem liegen Sie mit Finanzministerin Dagmar Ziegler wegen der Finanzierung von Lehrer-Abfindungen im Clinch.

Die Finanzministerin macht ihren Job. Und wir brauchen diese Mittel: Es gibt eine Vereinbarung zwischen Landesregierung und Gewerkschaften, dass kein Lehrer entlassen, sondern die vorhandene Arbeit auf alle verteilt wird. Brandenburgs Lehrer arbeiten dann weniger – und verdienen weniger. Das ist ab einer bestimmten Grenze nicht zumutbar. Jeder, der freiwillig ausscheidet, ermöglicht fünf Lehrern ihren bisherigen Beschäftigungsumfang, ihr bisheriges Gehalt.

Brandenburg hat zu viele Lehrer, so dass sogar die bisher beklagte Abwanderung erwünscht ist. Wie weit sind Ihre Verhandlungen mit anderen Ländern über den „Lehrer-Export"?

Die Verträge sollen im Herbst unterzeichnet werden. Es könnten alle Lehrer, die wir entbehren könnten, dieses Angebot annehmen. Es wären etwa 300 Pädagogen pro Jahr.

Das Interview führte Thorsten Metzner

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