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Brandenburg: Noel Martin: Toleranz lernen durch Konfrontation?

Noel Martin hat es den Mahlowern, den Brandenburgern, den Deutschen nicht erspart. Der seit einem rassistischen Überfall querschnittsgelähmte Brite wollte nicht nur die Täter und Mitläufer von einst mit seinem Schicksal konfrontieren, sondern auch jene, die braune Schläger gleichgültig oder ängstlich gewähren lassen.

Von Sandra Dassler

Noel Martin hat es den Mahlowern, den Brandenburgern, den Deutschen nicht erspart. Der seit einem rassistischen Überfall querschnittsgelähmte Brite wollte nicht nur die Täter und Mitläufer von einst mit seinem Schicksal konfrontieren, sondern auch jene, die braune Schläger gleichgültig oder ängstlich gewähren lassen. Deshalb hat der sympathische Mann unglaubliche körperliche und seelische Strapazen auf sich genommen und ist zum Ort des Verbrechens zurückgekehrt.

Taugt die Methode? Noel Martin hat sich darüber wenig Gedanken gemacht, er wollte vor allem mit sich selbst ins Reine kommen und seinem Leben wieder einen Sinn geben. Aber vielleicht hat er ja wirklich etwas ausgelöst, was es vorher (nicht nur) in Brandenburg zu selten gab: den konzentrierten, unverstellten, ungemilderten Blick auf die Opfer. Viel zu schnell gerieten diese sonst trotz aller guten Vorsätze in Vergessenheit. Nach den üblichen Betroffenheits-Ritualen wandte sich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit wieder anderen Themen zu. Über den Tod des Algeriers Omar Ben Noui alias Farid Guendoul in Guben schrieben die Zeitungen bestenfalls einige Tage. Die Berichterstattung über den Hetzjagd-Prozess, über die Auftritte der Täter und ihrer Anwälte, die Auseinandersetzungen um den Gedenkstein nahm Monate in Anspruch.

Nur wenige Journalisten nehmen sich der Opfer oder ihrer Angehörigen über längere Zeit hinweg an, nicht aus Böswilligkeit. Aus den Augen, aus dem Sinn - das galt schon 1991 in Hoyerswerda, als der sächsische Freistaat vor dem braunen Mob kapitulierte und seine vietnamesischen und angolanischen Bürger aus der Stadt und aus dem Land brachte.

"Es ist immer dasselbe", klagte kürzlich ein Fernsehredakteur, der seit zehn Jahren immer wieder über die Opfer rassistischer Gewalt berichtet: "Während die Täter vor Gericht auf ihre schwere Kindheit oder soziale Verwerfungen verweisen, aufgrund ihrer Jugend mit Bewährungsstrafen davonkommen oder spätestens nach ein paar Jahren wieder auf freiem Fuß sind, kämpfen die Betroffenen oder ihre Angehörigen einen einsamen Kampf. Sie erleben Demütigung durch die Behörden, bei denen sie Unterstützung beantragen, sie müssen um ihre Ansprüche kämpfen und um die gesellschaftliche Anerkennung. Gerade Ausländer sehen sich in ihren Heimatländern oft allein gestellt - welche Regierung will sich schon mit Deutschland anlegen?"

Dass einer wie Noel Martin dann auch noch die Kraft aufbringt, zurückzukehren, wird leider die Ausnahme bleiben. Dabei weiß jeder gute Jugendstrafrichter, wie wirkungsvoll ein ernsthaft praktizierter Täter-Opfer-Ausgleich sein kann. Diese Methode, die das deutsche Strafrecht noch nicht allzu lange kennt, hat schon bei manchem dumpfen Schläger zu wirklicher Reue und bei manchem Geschlagenen zu wirklicher Versöhnung geführt.

Offenbar lernt man Toleranz ja letztlich nur durch Konfrontation mit dem Leid, das Intoleranz hervorruft. Menschen entwickeln sich, indem sie sich mit den Folgen ihres Handelns auseinandersetzen. Nur wenn diese Folgen ihnen weh tun, ändern sie ihr Verhalten. Das Leid des Noel Martin hat vielen Menschen weh getan. Und deshalb hat seine Rückkehr so gut getan.

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