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Brandenburg: Rübermachen nach Polen

Vor 25 Jahren schlossdie DDR ihre Grenze zumöstlichen Nachbarland.Viele Ostdeutsche blieben dort, weil sie mehr Freiheit hatten

Frankfurt (Oder) - Der Weg vom schwarz-rot-goldenen Betonpfahl zum rot-weißen ist heute ein kurzer Spaziergang über die Stadtbrücke. Hier in Frankfurt, beim Blick über das kabbelige Wasser der Oder, sind sich Deutschland und Polen ganz nah. Das war nicht immer so: Ende Oktober vor 25 Jahren riegelte die DDR diese Grenze ab, wie alle Übergänge zu Polen an Oder und Neiße. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich der DDR-Bürger Eckehard Boese längst entschieden, seine brandenburgische Heimatstadt Schwedt gegen Warschau einzutauschen, wo „die politischen Rotbarsche nicht so streng waren wie in der DDR und das Leben deswegen viel freier war“. Ein Vergleich real existierender Sozialismen.

Boese ist Schlosser, bis Mitte der 70er Jahre arbeitet er wie die meisten Menschen in Schwedt im PCK (Petrochemisches Kombinat), wo er Agnieszka kennen lernt, die Tochter eines polnischen Abteilungsleiters. Sie überredet ihn, nach Warschau zu kommen, um zu heiraten. Danach steht in seinem DDR-Pass „Keczycka“, und das hieße auf polnisch eigentlich: „Frau Keczycki“, weil die Familiennamen von Frauen eben auf „a“ enden. Als er versucht, seinem Namen eine andere Endung zu geben, sagt man ihm in der DDR-Behörde: „Keczycki wollen Sie? Das gibt es nicht, Ihre Frau heißt Keczycka, dann heißen Sie auch so.“ In Warschau findet er wieder einen Job in einer Chemiefabrik. Er ist nicht politisch, bis heute nicht. Später, als er die polnische Staatsbürgerschaft annimmt, wählt er in Polen, „was Freunde mir so raten“.

Keczycka denkt nicht viel nach, beschäftigt sich nicht mit den großen internationalen Problemen, sondern damit, Polnisch zu lernen. Als sich die Arbeiter einer anderen polnischen Stadt, Danzig (Gdansk), Ende August 1980 zur gewerkschaftlichen „Solidarnosc“-Bewegung zusammenschließen, ändert sich sein Leben. Die Beziehungen zur Heimat werden zwei Monate später plötzlich schwierig. „An der Grenze ging es von einem auf den anderen Tag nun so strikt zu wie an der Westgrenze der DDR“, sagt der Historiker Klaus Ziemer, der das Deutsche Historische Institut in Warschau leitet. Er nutzte zu dieser Zeit häufig den Übergang bei Frankfurt. Am Vortag hatte der Tagesspiegel geschrieben, dass „die DDR den Reiseverkehr mit Polen drastisch einschränkt“.

Eckehard Keczycka beschließt, in Warschau zu bleiben. Polen ist für ihn wie der Westen. Er kann ins Ausland reisen, auch in die BRD, Pepsi-Cola trinken und westliche Zeitungen lesen. Gerade wegen der Reisefreiheit, die in Polen viel größer ist als in der Heimat, entscheiden sich viele DDR-Bürger wie Keczycka für ein Leben im polnischen Nachbarland.

Bis zum 30. Oktober 1980 passierten nach den Recherchen von Ziemer täglich 8000 Deutsche und Polen die Frankfurter Stadtbrücke. So wie das Mädchen Gitte in dem Roman „Die Reise nach Jaroslaw“ von Rolf Schneider, das vielen DDR-Bürgern die östliche Nachbarschaft näher brachte. Bis zu diesem Tag war das der Aufbruch in die Neugier.

Häufig aber wurde die deutsch-polnische Freundschaft von oben verordnet, „denn tatsächlich ärgerten sich die Deutschen in der Grenzregion über die Polen, die als Einkaufstouristen die ohnehin schon knappen Waren aus den Geschäften kauften“, sagt Ziemer. Noch heute kursieren in den Grenzstädten Anekdoten über Polen, die Fleisch in den Geschäften angespuckt haben sollen, damit es kein anderer Kunde aus der Schlange kauft. Polen waren im Plan nicht vorgesehen, waren aber so etwas wie Pflichtfreunde.

So schreibt die SED-Bezirkszeitung „Neuer Tag“, Vorgängerin der „Märkischen Oderzeitung“, nach den so genannten Tagen der Freundschaft und Kultur der DDR und Polens, noch im Sommer 1980: „Das Freundschaftsfundament bleibt unerschütterlich.“ Tatsächlich stand die Beziehung zu Polen nach der Gründung der Solidarnosc im August schon auf einem Fundament der Angst: „Die Führung in Ost-Berlin baute ihren staatlichen Anspruch auf den Sozialismus – und die polnische Solidarnosc stellte ihn in Frage“, sagt Ziemer. Bei dem Abkommen über die Grenzschließung habe die DDR den polnischen Staatschef Wojciech Jaruzelski darum gebeten, „die Sache so aussehen zu lassen, als sei es der gemeinsame Wunsch gewesen“. Der Wunsch der Polen aber war die Demokratie. Erst seit der politischen Wende in beiden Ländern ist die Grenze in Frankfurt (Oder) wieder offen. Keczycka ist in Warschau geblieben, als Pole. So wie 10000 andere ehemalige DDR-Bürger auch.

Olaf S, ermeyer, Andreas Mix

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