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Brandenburg: Schulmuseum Reckahn: Ein Adliger als Pionier der Volksbildung

Wenn Kinder und Erwachsene in der Dorfschule von Reckahn, ein paar Kilometer südlich der Stadt Brandenburg gelegen, Platz nehmen, kommen eigenartige Empfindungen auf. Man fühlt sich in ein anderes Jahrhundert versetzt.

Wenn Kinder und Erwachsene in der Dorfschule von Reckahn, ein paar Kilometer südlich der Stadt Brandenburg gelegen, Platz nehmen, kommen eigenartige Empfindungen auf. Man fühlt sich in ein anderes Jahrhundert versetzt. Kaiserbilder an der Wand, Bibelsprüche, ungewohnte Schriftzüge auf der Wandtafel, enge Holzbänke, Federkiele in Tintenfässern. Denn die aus dem 18. Jahrhundert stammende Dorfschule ist ein Museum, hier ist ein hundert Jahre altes Klassenzimmer nachgestaltet.

So ähnlich mag es auch um 1800 in der Reckahner Dorfschule unter dem Patronat des Gutsherren Friedrich Eberhard von Rochow (1734-1805) ausgesehen haben. Der Spross einer angesehenen Familie, die den Kurfürsten von Brandenburg und später preußischen Königen Offiziere sowie Minister stellte, war eine europäische Berühmtheit, ein Mann, der sein Leben der Bildung von Kindern aus den untersten Schichten widmete.

Als von Rochow 1805 starb, gingen das Rittergut mit dem Schloss, die Barockkirche und auch die Schule an seine Erben über. Die Idee der kostenlosen Elementarbildung für die Dorfjugend wurde erst einmal ad acta gelegt, wie Otto-Günther Beckmann, der Leiter des Schulmuseums, berichtet. Als Geschichtslehrer hatte sich der heute 71-Jährige in DDR-Zeiten für die Aufarbeitung des Rochowschen Erbes eingesetzt und dafür in der Volksbildungsverwaltung nicht unbedingt Lob geerntet. "Ein adliger Gutsherr als Menschenfreund und Schulreformer, das passte nicht ins marxistisch-leninistische Geschichtsbild, das die Feudalklasse als menschenverachtende Ausbeuter abtat. Allerdings wandelte sich das Preußenbild in der Honecker-Ära, und so war es 1984 sogar möglich, an der ehemaligen Dorfschule gleich hinter der Kirche an der Hauswand eine Gedenktafel anzubringen".

Friedrich Eberhard von Rochow habe erkannt, so Beckmann, dass eine Verbesserung der Ökonomie nur gelinge, wenn die Bauern lesen und schreiben können, wenn sie über ein gewisses Grundwissen verfügen und über sich selbst bestimmen können. Das war in der Zeit des Alten Fritz durchaus neu, als Bildung nur "gehobenen Schichten" vorbehalten war. Zwar gab es seit dem Soldatenkönig Friedrich Wilhelm I. die allgemeine Schulpflicht. Für die Kinder von Bauern und Leibeigenen war das aber zumeist Theorie, denn die Jungen und Mädchen mußten auf dem Feld mitarbeiten und hatten für die Schule keine Zeit. Außerdem gab es auf dem platten Land überhaupt kaum Schulen.

Von Rochow ging mit gutem Beispiel voran und richtete in Reckahn auf eigene Kosten eine Schule mit zwei Klassenräumen für die ganz jungen und die älteren Schüler ein. Das war neu und setzte die Besucher aus ganz Europa, die nach Reckahn pilgerten, in Erstaunen. Der Lehrer Heinrich Julius Bruns (1746-1794), dessen Grab auf dem Friedhof hinter der Schule liegt, wurde von Rochow bezahlt, jeder Schüler bekam ein eigenes Buch. Der Gutsherr sorgte dafür, dass die Dorfkinder Zeit bekamen, zur Schule zu gehen. Er unterrichtete selber und sprach jeden Bildungsgang mit dem Lehrer Bruns ab.

Friedrich Eberhard von Rochow warb in zahllosen Schriften für seine Ideen. Berühmt wurde der erstmals im Jahr 1776 veröffentlichte "Kinderfreund - Ein Lesebuch zum Gebrauch in Landschulen". In der kleinen Ausstellung neben dem Klassenraum sind einige Auflagen dieses ersten deutschen Schulbuchs ausgestellt, ein schmaler Band, der sich nach Rochows Ansicht "zwischen Fibel und Bibel" bewegte. "Dieses Buch ist der Armen wegen so wohlfeil. Denn es muß in jedes Schulkindes Händen seyn. Sonst könnten viel Kinder zugleich daraus nicht lesen lernen", heißt es im Vorwort.

Die zum Museum umgestaltete Dorfschule bietet zu wenig Platz, Leben und Werk Friedrich Eberhard von Rochows ausführlich zu würdigen. Im Preußenjahr 2001 wird daher mit Landesmitteln das nur wenige Meter entfernte Schloss derer von Rochow, das in DDR-Zeiten als Schule genutzt wurde, renoviert und zur Gedenkstätte ausgestaltet. Zur Zeit haben Handwerker in dem aus dem frühen 18. Jahrhundert stammenden Herrenhaus das Sagen.

Eile ist geboten, denn am 3. August 2001 soll die Ausstellung "Vernunft fürs Volk - Friedrich Eberhard von Rochow im Aufbruch Preußens" eröffnet werden. In ihr wollen Wissenschaftler der Universität Potsdam den berühmten Schulreformer und Menschenfreund würdigen und die Wirkungen seiner Ideen in Brandenburg-Preußen und darüber hinaus dokumentieren.

Helmut Caspar

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