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Brandenburg: Schwere Vorwürfe gegen Jugendamt Havelland

KLEINMACHNOW .Im Fall des vor neun Tagen in Sachsen-Anhalt ermordeten acht Jahre alten Marc D.

KLEINMACHNOW .Im Fall des vor neun Tagen in Sachsen-Anhalt ermordeten acht Jahre alten Marc D.und des sexuellen Mißbrauchs an seiner zehn Jahre alten Schwester Anke hat das in Kleinmachnow ansässige Sozialtherapeutische Institut Berlin-Brandenburg (STIBB) schwere Vorwürfe gegen das Jugendamt des Kreises Havelland erhoben."Die Behörde hätte dringend handeln müssen", sagte Annelie Dunand, Leiterin des STIBB.Wie berichtet, war der aus Premnitz bei Rathenow im Kreis Havelland stammende Junge von dem Lebensgefährten seiner Mutter umgebracht worden, weil er diesem damit drohte, den sexuellen Mißbrauch an seiner zehn Jahre alten Schwester aufzudecken.Der 38jährige Täter hat inzwischen gestanden.Unterdessen hat die Potsdamer Staatsanwaltschaft Ermittlungen wegen möglicher Versäumnisse des Havelländer Jugendamtes aufgenommen.Nach Angaben des Sprechers der Generalstaatsanwaltschaft, Rolf Grünebaum, existiert ein Anfangsverdacht.

Wie mittlerweile bekannt wurde, ist Anke schon vor dem Tod ihres Bruders mehrfach von Männern aus dem Bekanntenkreis der Familie mißbraucht worden.Im vergangenen Jahr wurden deshalb in getrennten Verfahren zwei Männer zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.In diesen Fällen hatte die Mutter nach Hinweisen aus dem Hort ihrer Tochter Anzeige erstattet.

Das STIBB hatte bereits im November 1997 in der Schule des Mädchens eine Aufklärungsaktion zu sexuellem Mißbrauch veranstaltet, bei der es Kindern riet, sich in Fällen von Mißbrauch an eine Vertrauensperson zu wenden.Anke wandte sich vor vier Monaten hilfesuchend zunächst an das Schul- und dann an das Jugendamt der Stadt und bat darum, wegen abermaligem Mißbrauchs in ein Heim aufgenommen zu werden."Damit hat sie das getan, was wir in unseren Veranstaltungen raten", sagte STIBB-Leiterin Dunand.Eine Sozialarbeiterin des Landkreises habe daraufhin die Familie aufgesucht und das Mädchen in einer Tagesgruppe untergebracht.Abends und am Wochenende wurde sie jedoch zu Hause bei ihrer Mutter belassen, deren neuer Bekannte sie dann mutmaßlich ebenfalls mißbraucht und später ihren Bruder getötet haben soll.Der Täter ist inzwischen geständig.

"Wenn sich ein Kind an Außenstehende mit der Bitte um Hilfe wendet", sagte Dunand, "ist Alarm angesagt".Das Kind müsse dann in Sicherheit gebracht werden.Bei einer akuten Gefährdung wie in diesem Fall sei es ihrer Meinung nach laut Paragraph 42 des Kinder- und Jugendschutzgesetzes auch möglich, die Kinder selbst ohne Zustimmung der Eltern durch eine einstweilige richterliche Verfügung aus der Familie zu nehmen."Danach kann man dann die Lage in Ruhe klären", so Dunand.Offensichtlich gehe man im zuständigen Jugendamt jedoch von einer anderen Rechtsauffassung aus und halte die Zustimmung der Eltern für zwingend nötig, kritisierte sie.Sollte diese Praxis bekannt werden, könnten Pädophile im Umfeld von Eltern versuchen, diese davon abzubringen, ihre Kinder in Obhut zu geben.

Dunand kritisierte auch die Gesetzgebung in Brandenburg.In anderen Bundesländern sei keine Einzelfallfinanzierung vonnöten, dort werde die Jugendarbeit pauschal finanziert.So hat auch der Jugendamtsleiter des Landkreises Havelland in einem Schreiben vom November 1997 Dunands Einrichtung untersagt, in seinem Landkreis tätig zu werden, da die Beratungsleistungen des STIBB nicht mehr finanziert werden könnten.Er verwies damals auf Träger der regionalen Jugendarbeit, die sich in Fällen von sexuellem Mißbrauch für kompetent hielten, beraten zu können."Kinderschutz muß für kritische Fälle auch überregional abgesichert sein", sagte Dunand.Das STIBB ist seit sechs Jahren auf Fälle von sexuellem Mißbrach spezialisiert.

Die Jugendministerin des Landes Brandenburg, Angelika Peter, sagte am Montag, sie sei "furchtbar entsetzt" über den Premnitzer Fall.Es könne nicht sein, daß die Hilferufe eines zehnjährigen Mädchens nicht mit der notwendigen Sensibilität aufgenommen würden.Der Fall müsse gründlich aufgearbeitet werden, forderte sie; wies jedoch darauf hin, daß die Kompetenz dafür beim Landratsamt liege.

ALEXANDER PAJEVIC

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