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SERIE WENDEKalender: 11. November 1989 Volle U-Bahnen, leere Kaufhäuser:

Die schönen Chaostage von Berlin.

Wer früher am Mauerstreifen wohnte, wohnt nun mittendrin: In der Nacht wurde an der Eberswalder Straße in Prenzlauer Berg eine Lücke in die graue Mauer gerissen, ein neuer Grenzübergang entstand – und ab 8 Uhr ging nichts mehr, so viele Menschen quetschten sich lachend hindurch. Ähnliche Bilder auch an der neuen Passierstelle Schlesische Straße zwischen Treptow und Kreuzberg. Oder in Mahlow. Und auf der Glienicker Brücke (siehe nebenstehenden Text).

West-Berlin bekam so seine Problem: 500 000 Menschen strömten heran, die Straßen um die Gedächtniskirche wurden komplett gesperrt, die U-Bahnlinie 6 zwischen Wedding und Platz der Luftbrücke bis zum Abend gestoppt, die U 1 und U 9 fuhren nur sporadisch (und mit völlig überfüllten Zügen). BVG-Chef Lorenzen resignierte und sprach von „katastrophalen Verhältnissen“. Hilflosigkeit auch am Brandenburger Tor: Grenzer spülen mit Wasserwerfern furchtlose Demonstranten von der Mauer, die dabei sind, die Steine zu zerhacken. Die DDR-Nachrichtenagentur ADN wirft daraufhin der West-Berliner Polizei „Untätigkeit“ vor.

Das Chaos wird zunehmend kurioser: Bei Woolworth gibt’s keine Walkmen mehr, die Taxifahrer jammern („Lasst uns bitte durch – wir müssen Geld verdienen!“), der Senat will Reisebusse für kostenlose Stadtrundfahrten organisieren. In Städten wie Leipzig sind so viele Köche in den Westen gefahren, dass die Behörden nun „Hausfrauen und Hobbyköche“ aufrufen, in den Gaststätten zu arbeiten. Und die „Berliner Zeitung“ schimpft: „Die Freude über neue Reisemöglichkeiten ist verständlich. Muß man aber Verständnis für leere Werkhallen und fehlende Waren aufbringen?“ Im Übrigen wünsche man aber „ein schönes Wochenende – auch in West-Berlin“. Immerhin.AG

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