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Sorben: "Unser Mutterland ist Deutschland"

Die Sorben machen sich Sorgen, und zwar um ihre Kultur. Wegen eines Finanzstreits um die Stiftung für das sorbische Volk sind die Kultureinrichtungen der slawischen Minderheit gefährdet. Am Donnerstag rufen die Sorben deshalb zum Marsch auf Berlin.

Die "Smjertnica" wird ohne Fagott gespielt. "Wir haben keines mehr im Orchester", sagt Karl-Heinrich Starke, Konzertmeister beim Sorbischen Nationalensemble im ostsächsischen Bautzen. Gleich, ob die Musiker das folkloristische Stück über die, so der deutsche Titel, "Todesgöttin" aufführen oder die kunstvollen Oratorien des sorbischen Komponisten Korla Awgust Kocor zu Gehör bringen: Nicht nur die Holzbläser sind schwach besetzt. 24 Mitglieder zählt das Orchester. "Früher waren wir 56", sagt Starke. Doch die wachsende Geldnot sorbischer Kultureinrichtungen hat Spuren hinterlassen. Künftig könnten nicht mehr nur einzelne Instrumente verstummen: "Ob es für uns eine Spielzeit 2008/09 gibt", sagt Starke, "ist nicht sicher."

Das Sorbische Nationalensemble ist das einzige professionelle Musiktheater, in dem die musikalischen Traditionen der 60.000 Sorben gepflegt werden. Die slawische Minderheit, die in Südbrandenburg und Ostsachsen beheimatet ist, sei "ein singendes und tanzendes Volk", sagt Starke. Das Bautzener Ensemble wurde vor 55 Jahren gegründet, um die Folklore, aber auch die Kunstmusik der Sorben zu pflegen. Doch das wird immer schwieriger: Die Zahl der Mitglieder sank seit 1994 von 171 auf 106; die Zuschüsse gehen stetig zurück. Derzeit wird erneut über einen Gehaltsverzicht für die Musiker, Tänzer und Sänger verhandelt.

Getragen wird das Nationalensemble wie viele andere Kultureinrichtungen von der Stiftung für das sorbische Volk, die 1998 gegründet wurde und vom Bund sowie den Ländern Brandenburg und Sachsen finanziert wird. Derzeit ist aber unklar, wie viel Geld künftig fließt: Für ein Ende 2007 ausgelaufenes Finanzierungsabkommen gibt es bisher keine Nachfolgeregelung. Zwar will der Bund eine bisher gesperrte Summe von 2,6 Millionen Euro für 2008 nun freigeben, womit die Stiftung wie im Vorjahr über 15,6 Millionen Euro verfügen könnte.

Künftig will der Bund seine Zuschüsse aber um 100.000 Euro im Jahr senken. Bereits die für 2008 gewährte Summe indes "reicht nur unter der Bedingung, dass 2009 etwas Besseres passiert", sagt Stiftungsdirektor Marko Suchy. Um die Streichung weiterer Stellen oder gar die Schließung ganzer Einrichtungen verhindern zu können, sei ein moderater Zuschlag auf 16,4 Millionen Euro nötig.

Eine solche Schließung wäre aus Sicht vieler Sorben fatal. Zuletzt, sagt Suchy, "gab es so etwas 1938" - in der Zeit des Nationalsozialismus wurden die Sorben unterdrückt. Zum anderen sind viele der Einrichtungen Unikate. Das gilt auch für das Sorbische Institut, das Geschichte, Kultur und Sprache der kleinen Minderheit erforscht, sagt die Sprachwissenschaftlerin Anja Pohontsch. Erarbeitet wurde zuletzt etwa ein Wörterbuch der Redewendungen, das es für das Sorbische bisher nicht gab. Auch eine Datenbank neuer Wörter wird betreut, mit denen die Sprache auf Entwicklungen etwa in der Computertechnik reagiert und die von Lehrern und Journalisten genutzt wird.

Zugleich leidet aber auch das Institut unter Geldmangel: Seit 1993 wurde jede vierte Stelle gestrichen, an wissenschaftlichem Nachwuchs fehlt es. Eine Historikerstelle darf seit zwei Jahren nicht besetzt werden, so dass die Geschichte der Sorben vor dem 19. Jahrhundert derzeit nicht bearbeitet wird. "Das ist, als würde an keiner deutschen Universität über das Mittelalter geforscht", sagt Pohontsch.

Auf die schwierige Lage reagiert das friedliche Volk, das seinen letzten Krieg laut Suchy "vor über 1000 Jahren gefochten hat", ungewohnt kämpferisch. Zunächst zogen sich seine Vertreter aus Protest gegen die ungeklärte finanzielle Zukunft aus dem Stiftungsrat zurück. Für Donnerstag (29. Mai) wird zudem zu einer Demonstration in Berlin mobilisiert - ein in der sorbischen Geschichte einmaliges Unterfangen. Damit soll daran erinnert werden, dass die Bundesrepublik völkerrechtliche Verpflichtungen gegenüber den nationalen Minderheiten eingegangen ist. Sie habe daher "Sorge zu tragen, dass sie auskömmliche Zuwendungen erhalten", sagt Suchy.

Der Stiftungsdirektor verweist darauf, dass die Mittel für die Sorben seit 1992 um 20 Prozent gesunken seien, während die Förderung für die dänische Minderheit in Schleswig-Holstein um 25 Prozent zunahm. Dabei gibt es einen gewichtigen Unterschied zwischen deutschen Dänen und Sorben: Die Slawen erhalten keine Unterstützung aus dem Ausland. "Unser Mutterland", sagt Pohontsch, "ist Deutschland." (ddp)

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