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Steuererklärungen: Offenes Steuergeheimnis

Die Frist für die Steuererklärung wurde übers Wochenende verlängert, weil der 31. ein Samstag war. Als Peter F. sein fertiges Werk am Wochenende beim Finanzamt Wilmersdorf einwerfen will, traut er seinen Augen nicht: Der Briefkasten des Bezirksamtes quillt über.

Von Sandra Dassler

Sonntag um elf in Wilmersdorf. Peter F. (Name geändert) hat es wieder einmal geschafft. Noch ein paar Schritte bis zum Finanzamt in der Blissestraße 5, dann wird er seine Einkommensteuererklärung für 2007, über die er in den letzten Nächten gesessen hat, in den Briefkasten einwerfen und erst mal durchatmen. Doch als Peter F. gestern Morgen den Briefkastenschlitz öffnet, fallen ihm Dutzende Briefe entgegen – große, kleine, dicke, dünne. Abgabetermin für die Einkommensteuererklärung war der 31. Mai, weil der aber auf einen Sonnabend fiel, wurde die Frist übers Wochenende verlängert.

Offenbar haben viele Wilmersdorfer ihre Steuererklärung erst jetzt abgegeben – wie Peter F., dem der vollgestopfte Briefkasten nicht geheuer vorkommt. „Ich hätte mir ja die Briefe mitnehmen können und schauen, was die Leute so verdienen und wie ihre Bankverbindung ist. Das sind doch vertrauliche Unterlagen“, sagt er. F. versucht, das Bezirksamt in Wilmersdorf zu erreichen, doch da ist nur ein Pförtner. Außerdem ist das Bezirksamt nicht für das Finanzamt zuständig. Er ruft bei der Polizei an und auch beim Tagesspiegel.

Bürger scheint der übervolle Briefkasten nicht zu stören

Eine Stunde später quillt der Briefkasten des Wilmersdorfer Finanzamts völlig über. Doch keinen Bürger scheint das zu stören. Ein etwa 40-jähriger Mann mit Fahrrad und Sporttasche flucht zwar, weil er seinen Brief zwischen die andere Post quetschen muss, sieht aber keinen Grund zur Sorge. „Ja, das war meine Steuererklärung“, sagt er: „Ich komme doch nicht extra noch mal her. Wird schon nichts passieren.“ Er schultert seine Sporttasche und steigt aufs Rad. Ein älterer Herr lässt sein Auto im Halteverbot stehen – schnell rein mit der Erklärung. Auch er muss quetschen, der Kasten ist übervoll. Eine Frau sagt, sie müsse ja nur ihre Zinserträge angeben, weil sie Rentnerin sei.

Um 12.30 Uhr kommt endlich ein Mann vom Wachschutz und leert den Postkasten. Drei Wagen mit Briefen fährt er weg, es müssen tausende sein. Sagen darf der Wachmann nichts. Später stellt sich heraus, dass Peter F. die Polizeiwache 26 informiert und die den zuständigen Wachschutz ausfindig gemacht hat.

„Ich begreife nicht, wie Bürger so leichtfertig mit solch vertraulichen Daten und Angaben umgehen können“, sagt ein Polizeisprecher. Ein Berliner Steuerberater ist fassungslos: „So etwas habe ich noch nie gehört. Einerseits muss das Finanzamt damit rechnen, dass so viele Briefe kommen. Andererseits passiert in so einem Fall niemandem etwas, wenn er seine Steuererklärung einen Tag später abgibt.“

Die Sprecherin von Finanzsenator Thilo Sarrazin sieht keine Versäumnisse beim Wilmersdorfer Finanzamt. Und Peter F. fragt sich, was ohne sein Eingreifen geschehen wäre: Hätten die Bürger ihre Steuererklärungen dann einfach vor die Tür gelegt? 

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