zum Hauptinhalt

Förderung behinderter Kinder: Schulhelfer: Übersetzer zwischen den Welten

Der kleine Mattes ist Kanner-Autist: Er spricht nicht. Um trotzdem in eine normale Klasse gehen zu können, braucht er eine Schulhelferin. Die bekam er - nach langem Kampf seiner Eltern. Andere Familien gingen leer aus.

Erst Mitte November endete die Anmeldefrist für die Berliner Grundschulen. Doch schon jetzt ist klar, dass nicht alle Kinder einen geeigneten Platz bekommen werden. Es trifft die Schwächsten. Sparmaßnahmen der Bildungsverwaltung verursachen einen Engpass an Schulhelfern, die schwer beeinträchtigte und behinderte Kinder im Schulalltag begleiten sollen. Dutzende Familien schicken ihre Kinder deshalb nun sogar nach Brandenburg. Die Senatsbildungsverwaltung sieht aber keinen Handlungsbedarf.

Auch die Eltern von Mattes kämpfen um einen Platz an einer Grundschule. Der Achtjährige ist ein sogenannter Kanner-Autist. Er spricht nicht. Seine Kommunikation funktioniert anders. „Uns wurde damals gesagt, er gehöre in eine Schule für geistig Behinderte“, erinnert sich Mattes’ Mutter Stephanie Loos. Doch Mattes ist nicht geistig behindert, der Unterricht in der Sonderschule unterforderte ihn. Er war nicht an Mattes’ Möglichkeiten angepasst.

Seit Januar besucht er deshalb eine normale Grundschule in Friedrichshain. Im Unterricht lernt er zusammen mit anderen Kindern und entdeckt seine Faszination für Buchstaben. „Alleine geht das nicht. Eine Schulhelferin muss zwischen seiner und der normalen Welt übersetzen“, sagt die Mutter. Seitdem blüht Mattes auf. Wenn Stephanie Loos ihren Sohn von der Schule abholt, wartet Mattes umringt von gleichaltrigen Mädels, spielt und ist einfach glücklich. Doch zum Schuljahreswechsel sollte damit wieder Schluss sein, „weil der Region Friedrichshain-Kreuzberg für das Schuljahr kein Schulhelferetat mehr zur Verfügung steht“, wie es in dem Ablehnungsschreiben des zuständigen Schulamtes hieß.

Das wollten Mattes’ Eltern nicht hinnehmen. Seit 2009 ist die Integration schwer behinderter Schüler in den normalen Schulablauf in der von Deutschland unterzeichneten UN-Menschenrechtskonvention festgeschrieben. Deshalb wandte sich das Paar mit einem Brief an Bildungssenator Jürgen Zöllner und schloss sich mit anderen Betroffenen zusammen – vergeblich. Erst als sich Stephanie Loos persönlich an die Friedrichshainer Jugendstadträtin Monika Herrmann (Grüne) wandte, kam Bewegung in die Sache. „Die Erfolgsgeschichte von Mattes hat mich sehr beeindruckt“, sagt Herrmann. Nun kommt das Jugendamt für Mattes’ Schulhelferstunden auf, weil die Bildungsverwaltung nicht genug Geld zur Verfügung stellt. Doch längst nicht alle Familien wissen, dass das möglich ist, und längst nicht alle Jugendämter sind so kooperativ wie das in Friedrichshain-Kreuzberg. Die Rechtsanwältin Jana Jeschke vertrat allein im vergangenen Jahr vier Familien, die sich ihr Recht auf Schulhelfer vor Gericht erstreiten mussten. Acht Verfahren gab es insgesamt. Die Dunkelziffer dürfte höher liegen. Viele Eltern hätten einfach nicht die Kraft, diesen Weg zu gehen, sagt die Anwältin. Und auch Stephanie Loos weiß, wie anstrengend es ist, jährlich mehrfach die Antragsflut zu bewältigen. „Bildungsverwaltung und Sozialverwaltung schieben sich gegenseitig die Zuständigkeit zu und die Familien geraten dazwischen.“

Auf Anfrage lässt die Senatsverwaltung indes mitteilen, dass „die Beschulung der schwer- und schwerstbehinderten Schüler/-innen sichergestellt ist“. Dabei verweist man auf einen „effektiven Einsatz“ der Ressourcen „im Rahmen verfügbarer Haushaltsmittel“. In der Praxis heißt das: Ein Schulhelfer ist gleichzeitig für mehrere Kinder verschiedener Jahrgangsstufen zuständig. Gleichzeitig setzt das Land auf das gemeinsame Unterrichten behinderter Schüler in Förderzentren.

Mattes’ Platz an der Sonderschule kostete die Bildungsverwaltung pro Jahr etwa 15 000 Euro. Die Beschulung an einer normalen Einrichtung mit Schulhelfern ist mehr als doppelt so teuer. Trotz steigender Nachfrage nach integrierter Beschulung seit 2005, bei stagnierenden Anmeldungen an den Förderzentren, bleibt die Bildungsverwaltung bei ihrer Finanzplanung: Für 2011 sind mit 8,7 Millionen Euro etwa 100 000 Euro weniger veranschlagt, als 2009 für Schulhelferstunden ausgegeben worden waren, und schon damals reichten die Gelder bei Weitem nicht aus. Nur etwa 50 Prozent aller Anträge auf Schulhelferstunden wurden im letzten Schuljahr genehmigt.

Inzwischen scheint sogar selbst die Beschulung an den günstigeren Förderzentren nicht mehr sichergestellt. Monika Scheele-Knight lässt ihren zehnjährigen autistischen Sohn John mittlerweile in einer Sonderschule in Fürstenwalde betreuen. „In Berlin war keine Schule auf ihn eingestellt“, sagt sie. Wegen seiner Autoaggression war er sediert. In der neuen Schule konnte nun dank eines individuellen Konzeptes damit begonnen werden, die Medikamente langsam abzusetzen. Sechs von sieben Schülern in Johns Klasse sind Berliner, die lange Anfahrten in Kauf nehmen. Insgesamt besuchen 24 schwerbehinderte Berliner Kinder die Brandenburger Sonderschule. Die Eltern, berichtet Scheele-Knight, hätten schriftlich bestätigt bekommen, dass es für ihre Kinder in Berlin kein geeignetes Betreuungskonzept gebe.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false