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Gebäude im Bauhaus-Stil. Hier am Breitenbachplatz sind sieben sozial- und kulturwissenschaftliche Fächer der Lateinamerikastudien vertreten.

© Dirk Laubner, Archiv der Freien Universität Berlin

Das Lateinamerika-Institut wird 50: Ganz Lateinamerika unter einem Dach

Das Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin feiert seinen 50. Geburtstag und blickt auf eine turbulente Geschichte zurück.

Congratulations! Herzlichen Glückwunsch! ¡Felicidades! Parabéns! Wenn das Lateinamerika-Institut (LAI) der Freien Universität Berlin im Juni sein 50-jähriges Bestehen feiert, werden die Glückwünsche wohl nicht nur in den hierzulande üblichen Lehrsprachen Englisch und Deutsch eintreffen, sondern natürlich auch auf Spanisch und Portugiesisch. 

Zwischen den vier Sprachen wird gern auch innerhalb eines Seminars gewechselt, es sind die bunt variierten Unterrichtssprachen des interdisziplinären Zentralinstituts. Sie stehen zudem für die kulturelle Vielfalt der Studierenden, der Lehrangebote, der Dozierenden und der internationalen Kooperationen, die in den Räumen des denkmalgeschützten Baus am Breitenbachplatz das Fundament bilden für ein weltweit einzigartiges Institut.

Seit seiner Gründung im Jahr 1970 war es Ziel des LAI, die Vielfalt Lateinamerikas nach Berlin zu bringen. Wie das gelingen sollte, darüber gab es indes heftige Differenzen. 

Gerade in den Gründungsjahren wirkten die Studentenproteste der 1968er Jahre nach. Wünschten sich die Studierenden vor allem Mitsprache und Selbstbestimmung, so standen die Professoren damals für eine klare Hierarchie zwischen Lernenden und Lehrenden.

Das LAI: vielfältig, interdisziplinär und familiär

Dass das heute ganz anders ist, darin sind sich Studierende und Dozierende einig. Es sei die familiäre Atmosphäre, die das LAI von vielen anderen Universitätsinstituten unterscheide, sagt Stefan Rinke, Geschichtsprofessor am LAI. 

Hier kenne und grüße man sich namentlich, wenn man sich in den Gängen oder auf der geschwungenen Treppe des im Bauhausstil errichteten Gebäudes begegne. In vielen Seminaren gelte zwischen Lehrenden und Studierenden wie selbstverständlich die in Lateinamerika gängige Anrede mit dem Vornamen. 

Und das, obwohl das LAI mit sieben Professuren, vier Juniorprofessuren, 51 wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und einer Vielzahl internationaler Projekte und Kooperationen das größte deutsche Institut für Lateinamerikaforschung ist und auch im europäischen Vergleich zu den führenden Einrichtungen mit diesem Regionalschwerpunkt gehört.

Das größte deutsche Institut für Lateinamerikaforschung

Als Standort für das neue Institut waren in den Gründungsjahren auch andere deutsche Städte im Gespräch. Dass Berlin und die Freie Universität am Ende das Rennen machten, war auch der Kooperation mit dem ebenfalls in Berlin ansässigen Ibero-Amerikanischen Institut zu verdanken. 

Seine Bibliothek beherbergt eine der weltweit größten und umfangreichsten Sammlungen rund um Lateinamerika – eine wertvolle Recherchequelle für Studierende und Wissenschaftler.

Am LAI können Studierende den Masterstudiengang „Interdisziplinäre Lateinamerikastudien“ abschließen. Bachelor-Studierende anderer Fächer können das sogenannte 30-Leistungspunkte-Modulangebot belegen – sie erweitern ihr Kernfach um Kenntnisse aus den Lateinamerikastudien. 

Die Lehrangebote richten sich insbesondere an Studierende der Geschichte, Literaturen und Kulturen, Sozial- und Kulturanthropologie, Politikwissenschaft, Soziologie und Wirtschaftswissenschaft. 

Somit spiegelt sich die Vielfalt der Studierenden auch in der Bandbreite ihrer Fächer und ermöglicht in den Seminaren anregende Diskussionen, wie die Studierenden berichten.

Willy Brandt engagierte sich für die Einrichtung des Zentrums

Das Engagement der Studentinnen und Studenten reiche weit über das Streben nach Leistungspunkten hinaus, sagt Karina Kriegesmann, wissenschaftliche Mitarbeiterin für die Geschichte Lateinamerikas; sie ist zuständig für den Bereich Studium und Lehre am Lateinamerika-Institut. 

„Wir haben regelmäßig Veranstaltungen und Vorträge, die nicht Teil des Lehrplans sind und oft auch von den Studierenden selbst organisiert werden.“

Das Interesse daran sei jedes Mal gewaltig. Und auch an den Planungen für die Feierlichkeiten anlässlich des 50. Jubiläums im Juni beteiligten sich Studierende aus allen sozial- und geisteswissenschaftlichen Disziplinen. 

Diese müssen nun, aufgrund der aktuellen Coronavirus-Pandemie erst einmal ausfallen, wie alle Veranstaltungen an der Freien Universität Berlin bis zum 20. Juli.

Geschwungene Treppe zu Forschung und Lehre. Weitere Standorte waren für das Lateinamerika-Institut im Gespräch. Dann wurde es doch Berlin.
Geschwungene Treppe zu Forschung und Lehre. Weitere Standorte waren für das Lateinamerika-Institut im Gespräch. Dann wurde es doch Berlin.

© Karsten Krüger

In den Materialien aus dem Universitätsarchiv und dem Ibero-Amerikanischen Institut finden sich prominente Namen wie die Politiker Willy Brandt und Heinrich Lübke. Beide – Brandt als Regierender Bürgermeister West-Berlins, Lübke als Bundespräsident der Bundesrepublik Deutschland – machten sich neben weiteren namhaften Fürsprechern in den 1960er Jahren für die Einrichtung eines lateinamerikanischen Zentrums in Deutschland stark.

Im Lauf der Jahre immer wieder prominente Gäste

Kaum gegründet, drohte dem Lateinamerika-Institut bereits das Aus: Mehrere Beteiligte verließen den Institutsrat und machten ihn zunächst arbeits- und entscheidungsunfähig. Wenig später verließen drei desillusionierte Gründungsprofessoren das Institut, nachdem klar war, dass es keine reine Forschungsstätte sein würde. 

Erst als eine jüngere Generation aus wissenschaftlichen Assistentinnen und Assistenten in die Lehrriege aufrückte, erholte sich das angeschlagene Institut am Breitenbachplatz. 

Durch die guten Beziehungen nach Lateinamerika konnte die Freie Universität Berlin immer wieder namhafte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler begrüßen, darunter etwa in den 1990er Jahren den brasilianischen Staatspräsidenten Fernando Henrique Cardoso.

In den folgenden Jahren und Jahrzehnten interessierten sich immer mehr Studierende für Lateinamerika; auch das sicherte dem Institut über so viele Jahre den Fortbestand – obwohl das 1986 neu verfasste Berliner Hochschulgesetz Zentralinstitute wie das LAI eigentlich hatte abschaffen wollen. 

In den 1980er Jahren war die Existenz des LAI an der FU Berlin gefährdet. Seine Mitglieder engagierten sich für den Erhalt.
In den 1980er Jahren war die Existenz des LAI an der FU Berlin gefährdet. Seine Mitglieder engagierten sich für den Erhalt.

© Archiv der Freien Universität Berlin

Insbesondere der vom Berliner Senat Ende der 1980er Jahre umgestalteten Hochschulpolitik ist es zu verdanken, dass das LAI weiter bestehen konnte: Es stellte die Zentralinstitute, an denen Personen verschiedener Disziplinen in Verbindung mit ihrem Fachbereich forschen und lehren, den Fachbereichen rechtlich wieder gleich.

Ein interdisziplinäres Institut

Die vorerst letzte Neuausrichtung erlebte das LAI im Bologna-Prozess, der zu Beginn der Zweitausenderjahre die Studiengänge europaweit vereinheitlichen und die Studierendenmobilität stärken sollte. 

Die Neugründung des Masterstudiengangs „Interdisziplinäre Lateinamerikastudien“, an dem alle Disziplinen des Instituts beteiligt sind, und ein Generationenwechsel der Lehrenden, überzeugten auch die letzten Zweifler von der Bedeutung dieses besonderen Instituts.

Dass die Geschichte des Instituts heute so differenziert aufgearbeitet wird, ist vor allem das Verdienst von Karina Kriegesmann und Stefan Rinke. 

In ihrem Praxis-Seminar für Masterstudierende stöberten sie sich gemeinsam mit den Studentinnen ein Semester lang durch alte Briefwechsel, Festschriften, Flugblätter und Fotografien aus mehr als 50 Jahren Institutsgeschichte. 

Auch mit Zeitzeugen haben sie gesprochen. „Es war eine richtige Detektivarbeit“, erinnert sich Holle Meding aus dem Masterstudiengang „Interdisziplinäre Lateinamerikastudien“. 

Ihre Kommilitonin Jenny Schürmann ergänzt: „Jeder hatte einen anderen Schwerpunkt und hat anderes in Erfahrung gebracht, dadurch konnten wir uns im Seminar dann perfekt ergänzen.“

Detektivarbeit zur Aufarbeitung der Geschichte

Ihre Ergebnisse wollen die Studentinnen in einer Ausstellung präsentieren. Geplant war die Eröffnung für Juni, pünktlich zum Jubiläum. Wegen der Coronavirus-Pandemie klappt das nicht. 

Dass die Ausstellung später stattfinden wird, steht am Lateinamerika-Institut aber außer Frage. Flexibel zu bleiben, sich auf Neues einzustellen: Das kennen die Studierenden aus ihren eigenen Auslandserfahrungen in Lateinamerika nur zu gut.

Auch die nächsten 50 Jahre des LAI dürften – im positiven Sinne – im Zeichen der „ewigen Neuausrichtung“ stehen, vermutet Holle Meding. 

„Die meisten von uns Studierenden haben mindestens ein Semester in Lateinamerika verbracht, wo politisch und gesellschaftlich immer wieder viel im Umbruch ist.“ Das öffne den Blick für neue Perspektiven und mache Mut, auch die eigene Gesellschaft, das eigene Umfeld kritisch zu hinterfragen.

„Einfach so weitermachen, vor allem, wenn es einem nicht gefällt, wird da quasi ein Ding der Unmöglichkeit.“

Anne Kostrzewa

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