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Heba Y. Amin hat ihre Werke bereits bei zahlreichen Biennalen ausgestellt.

© Sebastian Böttcher

Die Künstlerin Heba Y. Amin: „Ich möchte Sehgewohnheiten verändern“

Die ägyptische Künstlerin und Kunsthistorikerin Heba Y. Amin schreibt ihre Doktorarbeit an der Freien Universität – und unterrichtet als Professorin an der Kunsthochschule Stuttgart.

Im Jahr 2013 sorgte ein in Ägypten als Spion verhafteter Storch für eine seltsame Nachrichtenmeldung. Ein Fischer hatte den Zugvogel, an dessen Rücken ein verdächtiges Gerät angebracht war, gefangen und den Behörden übergeben. Man vermutete, verfeindete Mächte oder Terroristen könnten den Storch für die militärische Feinderkundung einsetzen. Als sich herausstellte, dass es sich bloß um einen GPS-Peilsender handelte, mit dem ungarische Wissenschaftler die Reise des Vogels aufzeichnen wollten, ließ man ihn weiterziehen. Doch nach seiner Freilassung aus dem Polizeigewahrsam in Ägypten fingen Bewohner den Storch – und aßen ihn auf.

Heba Y. Amin nutzt diesen zunächst nur kurios anmutenden Vorfall als Einstieg in ein komplexes Thema. Die bildende Künstlerin, die derzeit Promotionsstipendiatin im Fach Kunstgeschichte an der Graduiertenschule „Berlin Graduate School Muslim Cultures and Societies“ der Freien Universität ist, hat im April 2021 außerdem eine Professur an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart angetreten. Eine Doktorandin, die schon Professorin ist – das gab es in der Geschichte der Freien Universität wahrscheinlich noch nie.

Sie greift nur noch selten zum Pinsel

Heba Y. Amin, 1980 in Kairo geboren, hat in den Vereinigten Staaten Malerei studiert, greift aber seit Längerem nur noch selten zum Pinsel. In ihren Ausstellungen zeigt sie Fotografien, Videos, Archivmaterial und medienübergreifende Installationen. Zu weltweiter Aufmerksamkeit gelangte sie 2015, als sie in einem Akt künstlerischer Sabotage subversive Graffiti-Botschaften in die Kulisse der Fernsehserie „Homeland“ schmuggelte, um die Stereotypisierung von Arabern und Muslimen zu kritisieren.

Nach Berlin, wo sie seit 2010 lebt, kam Heba Y. Amin mit einem Forschungsstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD). Seither hat sie unter anderem bei der 10. Berlin Biennale und der 15. Istanbul Biennale ausgestellt. „Ich habe gleichzeitig zwei Karrierewege verfolgt, einen als Künstlerin und einen als Akademikerin, beide sind prekär“, sagt Heba Y. Amin. „Es gibt eine ziemlich große Überschneidung zwischen beiden Bereichen, und ich habe immer das eine in das andere eingebracht.“

Mit ihrer Kunst und in Ausstellungen, sagt sie, erreiche sie auch Menschen außerhalb von Hochschulen. Und umgekehrt verleihe ihr die akademische Laufbahn die Anerkennung, von der sie auch als Künstlerin profitiere. „Ich kann meine Arbeit mit wissenschaftlichen Publikationen belegen. So etwas nehmen die Menschen ernst“, sagt sie und lacht.

Die Forschung, die sie für die Promotion betreibe, sei im Wesentlichen dieselbe, die in ihre Kunst einfließe. „Weil meine künstlerische Arbeit so forschungsintensiv ist, erschien es mir irgendwann sinnvoll, mich für ein Promotionsstipendium zu bewerben und meine Recherche innerhalb einer Dissertation fortzuführen – denn geforscht habe ich ja sowieso.“

Die Installation "Project Speak2Tweet" versammelt Sprachnachrichten aus der ägyptischen Revolution.

© Markus Rack

Auf die Graduiertenschule wurde Heba Y. Amin besonders durch die kultur- und fächerübergreifend arbeitende Kunstgeschichtsprofessorin Wendy Shaw aufmerksam, die ihre Dissertation betreut. Heba Y. Amin beschäftigt sich mit der Frage, wie Technologie – die immer eingebettet sei in ein Gefüge von Macht – Bilder und Repräsentationen des Nahen Ostens hervorbringt. Wie zum Beispiel haben kartografische Rasterverfahren, Luftaufklärung und die Bildgebung der Drohne die Landschaft geformt?

„Mir geht es darum, die unhinterfragten Sehgewohnheiten, über die man die Geschichte betrachtet, zu verändern und andere Perspektiven anzubieten – besonders, wenn es dabei um die Repräsentation des Globalen Südens geht“, sagt die Künstlerin.

So erzählt sie in ihrer Arbeit „The General’s Stork“ – aus der sich 2020 auch eine Buchpublikation entwickelt hat – die Geschichte des unglückseligen Storchs und mit ihm die Geschichte Ägyptens nach der Revolution von 2011. Denn wohl nur in diesem Klima extremer politischer Anspannung kann es passieren, dass man einen Storch für einen Spion hält. Über den Storch erzählt sie gleichzeitig die Geschichte einer Region, die schon vor dem Ersten Weltkrieg zu einem der ersten Schauplätze überhaupt wurde, an dem westliche Nationen den Krieg aus der Luft erprobten. Die Landschaft dort sei von verschiedenen Stadien der Kolonisierung geprägt, sagt die Wissenschaftlerin.

Sprachnachrichten aus der ägyptischen Revolution

Heba Y. Amins Interesse an subversiven Taktiken zeigt sich auch in ihrer Arbeit „Project Speak2Tweet“. Dafür sammelte sie Sprachnachrichten, die 2011 während der ägyptischen Revolution aufgenommen wurden. „Bitte haltet die Fahne für mich hoch, wenn ich nicht mehr da bin“, sagte ein Demonstrant auf Arabisch, als er den Tahir-Platz in Kairo betrat, ohne zu wissen, ob er zurückkehren würde. Unzählige solcher Monologe entstanden, nachdem die ägyptische Regierung im Januar 2011 den Zugang zum Internet blockiert hatte, weil man hoffte, den über soziale Medien organisierten Protest abwürgen zu können. Doch schnell entstand „Speak2Tweet“, eine Plattform, über die man Nachrichten als Voicemail auf Twitter posten konnte, und die von Tausenden genutzt wurde. Heba Y. Amins Installationen wurden zum Monument dieser Zeit der Umwälzung und Veränderung.

Die Veränderbarkeit der Geschichte ist auch das Thema des Kurses „Speculative Futures“, den Heba Y. Amin im Sommersemester an der Kunsthochschule in Stuttgart per Videochat gegeben hat. Ihre Studierenden möchte sie allerdings nicht allein für die blinden Flecken eurozentrischer Kunst und Wissenschaft sensibilisieren. „Besonders liegt mir am Herzen, dass meine Studierenden wirklich darüber nachdenken, welche Gewalt in die Werkzeuge eingeschrieben ist, die sie verwenden, um Kunst zu schaffen.“

Sören Maahs

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