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Forscht zur digitalen Vernetzung: Informatikprofessor Matthias Wählisch.

© Jennifer Gaschler

Informatik: Revolte im Internet der Dinge

Informatikprofessor Matthias Wählisch hat mit seinem Team ein Betriebssystem für smarte Gegenstände entwickelt – jetzt folgt ein App-Store für die Kunden.

Das Internet of Things, besser bekannt unter der Abkürzung IoT, bestimmt schon heute das Leben vieler Menschen - in naher Zukunft wird es aber wohl zu einer neuen IT-Revolution kommen“, ist sich Matthias Wählisch sicher. Der Juniorprofessor für Informatik an der Freien Universität Berlin leitet die Arbeitsgruppe „Internet-Technologien“. Er forscht bereits seit mehr als 14 Jahren erfolgreich zu vielen Themen der Vernetzung mit dem Schwerpunkt Internet-Kommunikation.

31 Milliarden IoT-Endgeräte wird es im Jahr 2020 weltweit geben, das prognostizieren mehrere unabhängige Studien. Unternehmensberatungen sagen voraus, dass sich damit dann allein in Deutschland jährlich 23 Milliarden Euro umsetzen lassen. Am häufigsten werden dabei laut Wählisch sogenannte Mikrocontroller zum Einsatz kommen: „Das sind Kleinstcomputer, die auf einem einzigen Chip Speicher, Netzwerk und Prozessor besitzen. Man dockt sie an Gegenstände an und verbindet diese so mit dem Internet.“

Verwendet werden die Controller im Alltag, etwa in Laufschuhen, die Geschwindigkeit und zurückgelegte Strecke verfolgen, oder in Kühlschränken, die zur Neige gehende Lebensmittel eigenständig nachbestellen. Aber auch in Smart Citys, der Industrie 4.0 oder autonomen Fahrzeugen basieren viele Innovationen auf dem Internet der Dinge.

Das „freundliche Betriebssystem für das Internet der Dinge“

Dabei sei es wichtig, hersteller- und länderunabhängige Standards einzuführen und den Nutzerinnen und Nutzern die Kontrolle über ihre Daten zu geben, betont Wählisch. Ein erster Schritt dahin sei eine Open-Source-Software für alle IoT-fähigen Geräte: RIOT. Das „freundliche Betriebssystem für das Internet der Dinge“, so der Slogan, hat der Informatiker der Freien Universität mitgegründet; gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) und der staatlichen französischen Forschungseinrichtung „Inria“. Gefördert wurde RIOT durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung und die Agence nationale de la recherche. Der Name ist ein Wortspiel aus dem englischen riot, also Revolte, Aufstand, und IoT. Aber so genau wollen sich die Gründer nicht festlegen, denn es soll auch das „offene Internet der Dinge“ verdeutlichen.

„Ein Aufruhr ist bereits nötig, bevor der IoT-Boom in allen Lebensbereichen angekommen ist“, befindet Wählisch. Viele der Kleinstcomputer seien nur mit der Software des jeweiligen Herstellers kompatibel; dabei mangelt es dem Informatiker zufolge einigen Anbietern stark an Technik- und IT-Kompetenz. So achteten sie nicht auf regelmäßige Updates oder eine Verschlüsselung der Verbraucherdaten – Sicherheitslücken, die Hacker ausnutzen könnten.

Das Erheben von Daten, die bei privaten Nutzern vom Einkaufsverhalten über Freizeitinteressen bis hin zu gesundheitlichen Details reichen, „sind außerdem eine große Triebkraft für kommerzielle Unternehmen“, warnt der Internet-Experte. Viele Anwender seien sich dessen nicht bewusst. „Doch sie müssen auch die Wahl haben, mit welchem Betriebssystem und welcher App die eigenen IoT-Geräte arbeiten. Nur so können sie sich einen Anbieter aussuchen, der ihre Privatsphäre schützt.“

Der Transfer von Wissenschaft in die Praxis

Bei RIOT ist der Quellcode offen einsehbar und so zumindest für technisch Versierte überprüfbar. Das ist eines der Ideale, die hinter der Open-Source-Philosophie stecken, die etwa auch die Macher des Computer-Betriebssystems Linux oder des Browsers Firefox vertreten. Die Programme sind kostenfrei online erhältlich, zudem gibt es eine offene Community. Die gibt Feedback, entwickelt das Produkt weiter und trifft sich regelmäßig, um über ihre Ideen zu diskutieren. Mehr als 100 Menschen weltweit tragen zurzeit zur Weiterentwicklung von RIOT bei. „Durch diese Schwarmintelligenz bekommen wir auch neue Impulse für unsere Internet-Forschung“, erläutert Wählisch.

Am Transfer von Wissenschaft in die Praxis ist der 37-Jährige besonders interessiert, dabei arbeitet er mit Forschungs- und Industriepartnern zusammen. So entstand auch die Idee für RIOT: im Jahr 2012 im Zuge von „SAFEST“, in dem es darum ging, an Flughäfen die Sicherheit großer Menschenmengen zu gewährleisten. Was fehlte, war ein passendes Betriebssystem für vernetzte, kabellose Infrarotkameras und Sensoren.

Die Gruppe um Wählisch konnte dabei auf Vorarbeiten der Freien Universität aufbauen, die bei dem Vorhaben „FeuerWhere“ entstanden waren; Mit diesem Projekt sollte die Sicherheit von Feuerwehrleuten im Einsatz erhöht werden. Dabei wurden die ersten Grundlagen für ein IoT-Betriebssystem gelegt, das damals noch „µkleos“ hieß. Nach einigen Erweiterungen und einem Re-Branding ging RIOT dann 2013 online.

Zurzeit programmiert und startet Wählischs Arbeitsgruppe einen eigenen App-Store für ihr Betriebssystem. „Mit dem ‚RAPstore' möchten wir ein lebendiges Öko-System für das Internet der Dinge schaffen“, sagt er. „Die Nutzer sollen unabhängig von der Produktmarke und Herstellern entscheiden können, welche Anwendung auf ihrem IoT-Gerät läuft. Dafür brauchen sie genügend Auswahlmöglichkeiten – beispielsweise 20 verschiedene Apps für das smarte E-Bike.“ Vorgefertigte Programmier-Bausteine sollen es freien Entwicklerinnen und Entwicklern erleichtern, RIOT-Apps aufzubauen und im RAPstore anzubieten, auch kommerziell. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung fördert das gemeinsame Projekt der Freien Universität und der HAW Hamburg mit rund 1,8 Millionen Euro. Im Sektor der IoT-Applikationen steckt viel Potenzial: Die Unternehmensberatung McKinsey schätzt in einer aktuellen Studie das jährliche Geschäftsvolumen für IoT-Anwendungen auf 11,1 Billionen Dollar vom Jahr 2025 an.

RIOT ist darüber hinaus eine Plattform, auf der nicht nur Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Freien Universität Berlin, sondern auch anderer internationaler Forschungseinrichtungen und Firmen zu IoT-Themen arbeiten.

Die Verschlüsselung der Daten sei eine Herausforderung

„Viele smarte Produkte sind fest verbaut – die Deckenlampe, die Heizung im Keller. Also kann man sie nicht für Updates an einen Computer anschließen“, gibt Wählisch zu bedenken. Mit seinem Team arbeite er deshalb unter anderem an neuen Kommunikationswegen. Die bisherigen Funk-Verbindungen seien außerdem sehr störanfällig. Hier könnte ein weiterer Forschungsschwerpunkt seiner Arbeitsgruppe Abhilfe schaffen: informationszentrische Netze. In einer Art besonderer Nachbarschaftshilfe sollen intelligente Gegenstände Online-Daten untereinander weitergeben können, ohne dass sich jedes Gerät neu ins Internet einwählen muss. Denn die Daten beispielsweise von Webseiten werden automatisch lokal zwischengespeichert.

Eine weitere Baustelle ist die Verschlüsselung der Daten der vernetzten Dinge. Das sei eine Herausforderung, weil die technisch minimalistischen IoT-Chips meist nur eine Speicherkapazität von wenigen Kilobyte besäßen, erklärt der Informatiker.

Matthias Wählisch spricht gerne über das „erfolgreiche Teamprojekt“ RIOT. Bei Fototerminen trägt er ein Shirt mit dem Marken-Logo, er betreut auch die Website, den Twitter-Account und organisiert das RIOT-Summit, das jährliche Treffen der RIOT-Gemeinschaft. Vor Kurzem vermittelte er Tipps zu IoT und dem neuen Betriebssystem bei einem öffentlichen Vortrag in der Urania. Er eröffnete damit die neue Veranstaltungsreihe „made in Dahlem: Junge Forschung aus der Freien Universität“, eine Kooperation der Hochschule mit dem Bildungszentrum.

Gibt es etwas, das Nutzerinnen und Nutzer unbedingt beachten müssen? „Kritisch sein“, sagt der Informatikprofessor, „der technische Fortschritt geht heute wunderbar rasant voran, hat dabei aber oft auch eine Kehrseite.“

Jennifer Gaschler

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