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Sober Bars: Trinken und Feiern ohne Rausch

Alkoholfreie Destillate, Biere und Cocktails schaffen Trinkerlebnisse ohne Reue. Eine nüchterne Bestandsaufnahme.


Ein Festival ganz ohne Alkohol
In der Backsteinhalle der ehemaligen Truman-Brauerei im Londoner East-End schenken Barkeeper an kleinen Ständen mit improvisierten Tresen Probierschlucke aus, mixen Cocktails und unterhalten sich mit dem Publikum: Studenten, Hipster, Best Ager, dazwischen Gastronomen mit Notizbüchern, aber auch Nachbarn und Neugierige, die wissen wollen, was das eigentlich ist, ein „Mindful Drinking Festival“.
Der Eintritt ist frei, es läuft unaufdringliche Musik, man kommt schnell ins Gespräch. Gibt ja auch so viel zu probieren. Es ist eigentlich alles so wie bei allen Wein-, Bier- und Spirituosenmessen auch. Mit einem Unterschied: Nichts von dem, was hier in Form von Cocktails, Longdrinks oder Shots ausgeschenkt wird, enthält Alkohol.


Die Briten sind "Sober curious" - neugierig auf Nüchternheit
Ins Leben gerufen hat das Festival Laura Willoughby, eine ehemalige Politikerin, die beschloss, auf Alkohol zu verzichten, und jetzt auch andere vom alkoholfreien Genuss begeistern möchte. Das Interesse steigt stetig. Waren es 2017 noch 2500 Besucher pro Tag, wollten 2020 bereits mehr als 10 000 alkoholfreie Destillate, Mixgetränke, Biere und Schaumweine probieren. Großbritannien, das Mutterland des pub crawl, nüchtert aus. Der Alkoholkonsum der Briten sinkt seit einigen Jahren stetig, sie gelten als „sober curious“, also „neugierig auf Nüchternheit“: 21 Prozent der 18- bis 60-Jährigen trinken gar keinen Alkohol, bei den 18- bis 24-Jährigen liegt der Anteil sogar über 25 Prozent.

Das Angebot an alkoholfreien Destillaten wächst schnell
Die neue Lust am Nüchternbleiben hat zur Folge, dass sich die Auswahl an alkoholfreien spirits auf der Insel kontinuierlich vergrößert. „Seedlip“, das erste alkoholfreie Destillat, kam 2016 auf den Markt, inzwischen gibt es rund 70 Mitbewerber. Ben Branson, der Gründer von „Seedlip“, hat sich den Claim „What to drink when you are not drinking“ schützen lassen, denn genau darum geht es hier: ein erwachsenes Getränk zu bieten, wenn man nichts trinken möchten. Vielleicht einen „Seedlip Garden“, der Aromen von Erbsen, Rosmarin und Thymian hat. Branson empfiehlt, ihn mit Tonic zu trinken. Auch wenn er ohne Wacholder ist, kommt der Drink einem Gin Tonic schon recht nahe.

In "Sober Bars" ist alles "ohne: Alkohol, Zigaretten und Fleisch

Für Cocktails wie diesen ist in London bereits ein eigenes gastronomisches Genre entstanden: sogenannte sober bars, in denen keine Getränke mit Alkohol ausgeschenkt werden. Bereits 2014 eröffneten Catherine Salway und Andrea Waters ihre erste „Redemption Bar“, mittlerweile bieten sie an drei Standorten in London neben einer üppigen Auswahl an alkoholfreien Cocktails, Bieren, Tonics und Elixieren auch vegetarisch-vegane Speisen auf hohem Niveau und mit großem Erfolg: Die „Redemption Bars“ sind gut besucht, die Gäste sind zwischen 20 und 60 Jahren, viele davon unter 30, sie essen, trinken und feiern gemeinsam oft in großen Gruppen, der Lautstärkepegel ist hoch, untermalt von Musik aus den 80ern – eine Ansammlung von einsamen, spaßbefreiten Asketen sieht anders aus.

Ausgefeilte alkoholfreie Cocktails ergänzen das Barsortiment wie in der Amo Bar
Ausgefeilte alkoholfreie Cocktails ergänzen das Barsortiment wie in der Amo Bar

© Kadir Celik

Die erste komplett alkoholfreie Bierbar eröffnet in London
Auch James Watt, der Gründer der Craft-Biermarke „Brewdog“, will, dass Gäste keinen Kompromiss in Sachen Qualität, Geschmack und Erlebnis eingehen müssen, wenn sie sich für ein Getränk ohne oder mit wenig Alkohol entscheiden. Derzeit hat „Brewdog“ fünf alkoholfreie Craft-Biere im Sortiment. Anfang Januar eröffnete die erste „Brewdog Bar AF“ im Londoner Eastend mit 15 alkoholfreien Bieren vom Zapfhahn. Im ersten Monat zählte die neue Bierbar 20 000 Gäste. Weitere Filialen werden folgen, nicht nur in sober-London.

Alkoholfreie Getränkebegleitung gibt es bereits auf Gourmetniveau
Rob Simpson, Barchef im schwer gehypten Londoner Restaurant „Clove Club“, glaubt, dass „die Getränke für alle Gäste ein besonderes Erlebnis darstellen müssen, nicht nur für jene, die sich für Cocktails mit Alkohol entscheiden“. Ein großer Teil der Zutaten für die Drinks des „Clove Clubs“ sind hausgemacht. Rob Simpson nutzt dafür ganz selbstverständlich die Technik seiner Kollegen in der Küche: Sous-vide-Garer, Dörrgerät, Mixer und Siphon. „Vor allem bei alkoholfreien Drinks braucht es Know-how in Küchen- und Bartechnik, um Drinks Tiefe, Mundgefühl und Volumen zu geben“ – sensorische Wahrnehmungen, die sonst der Alkohol übernimmt. Denn der ist ja auch ein Geschmacksträger. So bekommt der Gast zum Lammgericht einen Drink aus reduziertem Rote-Bete-Saft, der, ergänzt durch das Wasser rehydrierter Trockenpflaumen, perfekt passt. Und auch noch gut fürs Geschäft ist: Wer nichts trinkt, bestellt oft nur Wasser. Mehr Umsatz generiert man, wenn man sich ein paar Gedanken macht zum Thema alkoholfreie Getränke.

Eine Messe ausschließlich für alkoholfreie Drinks: Das "Mindfull Drinking Festival" in London
Eine Messe ausschließlich für alkoholfreie Drinks: Das "Mindfull Drinking Festival" in London

© Club Soda Guide/promo

Berlin ist bei alkoholfreier Menübegleitung weit vorne
In der Fine-Dining-Liga Berlins gehört das längst zum guten Ton. Im „Rutz“ gibt es fabelhafte Kombuchas, die auch als Pairing funktionieren. Im „Golvet“ oder im „Bandol sur mer“ fermentieren sie spannende alkoholfreie Getränke passend zu den Speisen. Als Pionier der Szene gilt Sebastian Frank aus dem „Horváth“. Seine alkoholfreie Getränkebegleitung schneidet er perfekt auf seine filigranen Gerichte zu. Zum Milchferkel etwa gibt es eine Essenz aus Petersilienwurzel, Karotte, Staudensellerie und zwei Sorten Äpfeln, dazu einen Löffel dunkel reduzierten Sauerkrautsaft und mit Öl aromatisierte Bergkäserinde. Solch eine geschmackliche Komplexität muss ein Wein erst mal hinbekommen.

Die erste komplett alkoholfreie Bierbar in London: Die "Brewdog Bar AF"
Die erste komplett alkoholfreie Bierbar in London: Die "Brewdog Bar AF"

© promo

Auch die Berliner Barkultur nüchtert aus
Aber nicht nur Köche erfinden Getränke, auch Barchefs stehen zunehmend in der Küche. Jonas Stein etwa von der „Amo Bar“ im Hotel Amo sagt: „Wir haben regelmäßige Prep-Tage. Da bereiten wir die Zutaten für unsere Drinks vor. Wir möchten so viel wie möglich selber machen. Nur so haben wir die Kontrolle über die Qualität der einzelnen Komponenten und damit die bestmöglichen Zutaten für unsere Drinks.“ Die Barkarte in der „Amo Bar“ fordert einen Austausch mit dem Barkeeper geradezu heraus. Erstens ist sie nur auf Englisch und zweitens sind die Zutaten so besonders, dass man fragen muss, um zu verstehen, was eigentlich im Glas ist: Hydrosole, lactic acid, cherry stalk tea, beurre noisette ... ? Also: Ein Hydrosol ist das Produkt der Hydrodestillation. Die Aromen aus Pflanzen oder Gewürzen und anderen Geschmacksträgern werden im Rotationsverdampfer unter Druck und Vakuum in Wasser gelöst und ergeben so ein Destillat ohne Alkohol. Beurre noisette (Nussbutter) ist eine leicht gebräunte Butter, lactic acid ist Milchsäure und cherry stems sind Kirschstiele, die aufgebrüht einen grasigen Tee ergeben.

Sebastian Franks alkoholfreie Getränkebegleitung im Restaurant "Horváth" liegt – auch preislich – auf Augenhöhe mit der Weinbegleitung.
Sebastian Franks alkoholfreie Getränkebegleitung im Restaurant "Horváth" liegt – auch preislich – auf Augenhöhe mit der Weinbegleitung.

© Mike Wolff

Der erste "Dry Pub" steht kurz vor der Eröffnung
Alkoholfreie Cocktails spielen auf der Karte auch eine wichtige Rolle. Drei Stück haben sie, empfehlenswert etwa der „Lavender Town“ mit Honig-Lavendel-Hydrosol, Pfirsichsirup und Zitrone. Außerdem gibt es hausgemachte Cola, die durchsichtig ist, weil ohne Farbstoff, sowie saisonale Tonic-Sorten. Den Gin dazu gibt es natürlich auch in der Bar, aber „nur“ zwölf Sorten. Eine alkoholfreie Variante hat Jonas Stein nicht im Sortiment, jedenfalls noch nicht. „Den machen wir irgendwann selber.“
Das erste "Dry Pub" eröffnet übrigens am 12. März in Berlin. Das Motto des „Zeroliq“ in der Boxhagener Str. 104 in Friedrichshain: „Buzzy drinks, zero booze.“ Es gibt alkoholfreie Craft-Biere, Weine und Cocktails. Dazu eine kleine Barfoodkarte mit veganen Tapas. Und Rauchverbot. Cheers!

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

Nicole Klauß

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