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Neuer Küchenchef, neues Konzept. Das Restaurant Einsunternull in Mitte.

© Einsunternull / promo

Von Tisch zu Tisch - die Restaurantkritik: Eine glatte Eins fürs "Einsunternull"

Die einst strenge Weihestätte der neuen Regionalküche hat sich mit neuem Küchenchef stilistisch weit geöffnet – ein Glücksgriff.

Entwickelt sich Küche immer nur vorwärts? Und wird Berlin bald so eine Art Kopenhagen sein, voll mit Avantgarde-Restaurants, die sich alle irgendwie ähneln? So ganz scheint das nicht zu funktionieren, dann die Pioniere der Szene bleiben unter sich. Und werden sogar weniger: Im „Pauly Saal“ geht es zurück zur französischen Neoklassik, und das radikal regionale Experiment im „Einsunternull“ ist auch beendet. Es besteht eben doch ein Unterschied zwischen dem Jubel der Fachpresse und dem der Gäste – „etwas unverständlich“, so grummelt Herausgeber Thomas Ruhl gerade in „Port Culinaire“, sei der Rückzug im „Einsunternull“.

Das radikal regionale Experiment ist beendet

Ivo Ebert, der Patron, erklärt es verständlich: Er habe wieder glücklich sein wollen mit den Gerichten, die er zum Gast bringe, man sei jetzt einfach „erwachsen geworden“. Die alte Frage: Kocht der Koch mehr für sich selbst oder für seine Gäste? Schauen wir nach vorn: Silvio Pfeufer, der neue Mann, kocht für seine Gäste – mich hat er jedenfalls erreicht. Man kann sich seine Gerichte ohne Anleitung und Hintergrundwissen schmecken lassen, aber sie eignen sich durchaus auch zu tief schürfenderen Betrachtungen. Sie sind regional im weitesten Sinn, wenn wir Hering dazuzählen und Passionsfrucht akzeptieren, aber keine Konzeptküche – auf die Short Rib „Sonnenallee“ kommen wir gleich noch.

Der Hering kommt hier als eine Art Sashimi

Der meist verschmähte Hering kommt hier also als eine Art Sashimi, mit Dill und Blütenpollen sanft überstäubt, begleitet von Räucheraal, in Aal-Dashi und Dillöl, das ist ein perfektes Vorgericht, das die Jahre Peufers bei Jan Hartwig in München durchscheinen lässt, bekanntlich ein Drei-Sterne-Koch. Die glasige Frische des Herings, der sanft-würzige Schmelz des Aals, ein paar klug gesetzte Mikroelemente – so geht so was. Ähnlich präzise und balanciert gelingt der geflämmte Saibling mit Kalbskopf, Saiblingskaviar und gebackenen Kapern in einer schaumig-sahnigen Kapernbutter. Und der Zander mit knusprig gebackenen Schuppen liegt nebst Lauch und Kräutersaitlingen in einer sanften Creme: Soße, Leute!

Der „Broiler mit Pommes“ ist ein makellos saftiges Hähnchenbruststück mit zwei kleinen Pommes Frites, dunkler Jus und einem flüssigen, zwischen knusprigen Hühnerhautscheiben drapierten Eigelb, das alles zu einem runden, cremigen Mischgeschmack zusammenführt. Dann geht es sogar noch eins rauf, nämlich beim Gang „Spanferkel, Feige, Zwiebel“. Da liegt ein herrlich zart-krachiges Stück Schwein in Schweinefond, daneben ein authentisch chinesischer Dumpling mit Schweinefüllung, und in kleinen säuerlichen Zwiebelabschnitten steckt süße Feigencreme.

Short Rib „Sonnenallee“ mit einer Tasse pürierter Linsensuppe

Das könnte in seiner perfektionistisch ausgetüftelten Mechanik und Aromatik von Tim Raue sein, ist aber dezenter abgestimmt und insofern doch eigenständig. Zum Hauptgang greift Peufer dann ins orientalisch-regionale Fach und serviert Short Rib „Sonnenallee“ mit einer Tasse pürierter Linsensuppe, Mini-Falafel, Minz-Spinat und Joghurt-Aubergine als von Streetfood inspirierte Würzgranate; das Fleisch, einziger Einwand, wirkte ausgelaugt, ein wenig übergart. Animierendes Dessert: Küchlein und Eis von gebrannter weißer Schokolade mit Rooibos-Granité und Passionsfrucht. Die ebenso finessenreich fruchtigen Petits fours gehören zu den besten Berlins (7 Gänge: 129 Euro).

Ivo Ebert wirkt tatsächlich glücklich mit dieser Küche, er entkorkt inspiriert rare Weine wie den „Ube Miraflores“, einen tollen Nicht-Sherry aus der Sherry-Region, oder den geradezu mythischen „Barbacarlo“ 1994 aus der Lombardei. Fassen wir zusammen: Hier habe ich früher, schwer beeindruckt, einmal jährlich einen anstrengenden Pflichtbesuch absolviert. Jetzt aber macht es mir richtig Spaß, hinzugehen.

Einsunternull, Hannoversche Str. 1, Mitte, geöffnet Do–Mo ab 19 Uhr, Tel. 27 57 78 10

Dieser Beitrag ist auf den kulinarischen Seiten "Mehr Genuss" im Tagesspiegel erschienen – jeden Sonnabend in der Zeitung. Hier geht es zum E-Paper-Abo. Weitere Genuss-Themen finden Sie online auf unserer Themenseite.

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