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Gesundheit: Am Puls der Zeit

Wer ein schwaches Herz hat, lebt gefährlich. Eine schnurlose Technik soll die Überwachung verbessern. Berliner Patienten funken jetzt jeden Morgen ihre medizinischen Daten an die Charité. Ein Pilotprojekt.

Wenn Andreas Gölz morgens aufwacht, trinkt er nicht als Erstes seinen Kaffee oder duscht. Stattdessen nimmt der ehemalige Hausmeister drei Geräte aus einem Koffer – ein bisschen wie James Bond, der gerade eine seiner Wunderwaffen zusammenbauen will.

Dann legt sich Gölz ein EKG-Kästchen auf die Brust und wartet zwei Minuten – „die Werte werden gleich übertragen“. Nach einer kurzen Morgentoilette steigt der 49-Jährige auf die Waage und legt sich anschließend die Blutdruckmanschette an den Arm. Zum Schluss drückt Gölz auf einen Smiley auf seinem Handy rechts unten im Display. Eine Wohlfühl-Skala von eins bis fünf in grünen und roten Farben wird angezeigt. „Meistens geht es mir ja gut. Wenn ich glücklich bin, drücke ich auf Grün“, sagt der Eberswalder.

Das Prozedere ist keine Spielerei für den herzkranken Mann, sondern ein lebenswichtiges Kontrollsystem. Gölz nimmt seit Januar an der Studie für Kardiovaskuläre Telemedizin der Charité teil. Als einer von 300 Patienten mit schwerer Pumpschwäche des Herzmuskels (Herzinsuffizienz) hat er hoch entwickelte Geräte bekommen, die mit Sensoren krankhafte Veränderungen in der Herzstromkurve – die als Elektrokardiogramm (EKG) gemessen wird – beim Gewicht oder beim Blutdruck an Ärzte in der Klinik senden. Die Daten werden zu Hause automatisch gespeichert und landen kurz danach auf den Bildschirmen der Mediziner im neu gegründeten Telemedizinischen Zentrum der Charité (TMZ). „Es ist so, als würde der Arzt direkt neben mir stehen“, sagt Gölz.

Vor zwei Jahren erlitt der Vater dreier Kinder einen Herzinfarkt. Später im Krankenhaus stellte sich heraus, dass ein Drittel seines Herzmuskels abgestorben war. Gölz wurde von dem Infarkt völlig überrascht, weil es ihm vorher gar nicht schlecht gegangen war. Er arbeitete vor der Erkrankung für die Eberswalder Stadtverwaltung. Nach dem Infarkt musste er wochenlang in einer Rehaklinik bleiben. Heute ist Gölz Frührentner.

Die Telemedizin soll verhindern, „dass es erst zu einem Infarkt kommen muss, damit man merkt, dass etwas nicht stimmt“, sagt der Projektleiter und Kardiologe Friedrich Köhler. Durch das Frühwarnsystem könnten viele herzschwache Patienten lästige und teure Krankenhausaufenthalte umgehen und ein besseres Leben haben. Die „Telemedizin auf Rezept“ hat gute Chancen, bald tatsächlich verschrieben zu werden. Die Studie mit dem gewichtigen Namen „Partnership for the heart“ läuft seit Anfang Januar und hat bisher gute Ergebnisse gebracht, sagt Köhler. Am Charitéplatz 1 sitzen 24 Stunden am Tag Kardiologen und Pflegekräfte in einem 40-Quadratmeter-Raum. An ihren Bildschirmen können sie sofort sehen, ob einer ihrer Patienten einen zu hohen Blutdruck hat, über Nacht zugenommen hat oder ob sein EKG beunruhigende Spitzen zeigt. „Wir haben ein System, das die Werte sofort sortiert. Wenn jemand einen erhöhten Blutdruck hat, steht er in der Tabelle gleich an erster Stelle und wir können rasch reagieren“, sagt Köhler. Und tatsächlich – hinter zwei Patientennamen leuchten rote Ausrufezeichen auf, rechts davon blickt der Arzt auf das jeweilige EKG. Der Patient hat den Vorteil, dass seine Gesundheit ständig aus der Ferne überwacht wird. Im Ernstfall ruft der Arzt des Telemedizinischen Zentrums den behandelnden Hausarzt oder Kardiologen an und macht auf die schlechten Werte aufmerksam. Schlimmstenfalls meldet er einen Notfall beim Rettungsdienst. „Ein paar solcher Fälle hatten wir hier schon“, sagt Köhler.

Doch Technik ersetzt keine persönlichen Gespräche. Andreas Gölz geht weiterhin zu seinem Hausarzt und zum Kardiologen in Bernau. Mit dem Telemedizinischen Zentrum im Hintergrund fühlt er sich „doppelt sicher“. Neulich riefen die Ärzte von der Charité schon morgens bei ihm an – er hatte vergessen, seine Werte bis neun Uhr zu messen. „Die sind schneller als die Feuerwehr“. Wie das Handy funktioniert, hat Gölz in einer Schulung zu Hause gelernt. Die Technik sei so einfach, dass sie sogar 90-Jährige bedienen, sagt Schulungsleiterin Stephanie Lücke.

1,2 Millionen Bundesbürger leiden an Herzinsuffizienz – häufig infolge eines Herzinfarkts. Die Studie, die insgesamt 12 Millionen Euro kostet, wird aber nicht nur zeigen, ob sich die Lebensqualität der Patienten erhöht, sondern auch, ob sie dadurch weniger Zeit im Krankenhaus verbringen. Außerdem wollen die Wissenschaftler herausfinden, ob die Telemedizin für die Patienten mehr Sicherheit bringt. Denn letzten Endes geht es um Leben und Tod.

Bei Herzinsuffizienz pumpt das Organ nicht mehr stark und regelmäßig. „Mein Herz rennt einfach davon, das ist viel zu schnell“, beschreibt Gölz das Gefühl. Mit den Geräten der Telemedizin soll er aktiv zu seiner Gesundheit beitragen – außerdem ist er mobil. „Unsere Patienten fahren mit den Geräten in den Urlaub oder zur Arbeit. Wir haben sogar einen Mann, der auf seinem Hausboot in Brandenburg lebt und sich täglich misst – das ist alles möglich“, erklärt Köhler.

Die meisten Studienteilnehmer sind mehr als 60 Jahre alt und leiden wie Andreas Gölz an Herzinsuffizienz. Wichtig ist, dass sie keine weiteren Krankheiten haben, weil die Auswertung dadurch schwieriger wäre. Langfristig sei aber geplant, die Telemedizin auch auf andere Erkrankungen wie Diabetes anzuwenden, sagt Sebastian Winckler, Leiter des TMZ. Doch bis dahin muss sich die Methode erst einmal an Herzpatienten bewähren.

Rund zwei Jahre wird es dauern, bis geklärt ist, ob „Partnership for the heart“ wirklich effizient ist. Auch die Kosten werden dabei berücksichtigt. Sollte die Telemedizin fürs Herz erfolgreich sein, könnten davon in Zukunft viele Menschen profitieren – dann würde sie nämlich als Regelleistung von den gesetzlichen Krankenkassen angeboten.

Wer gerne an der Studie teilnehmen möchte, muss sich allerdings gedulden. Alle 300 Patienten wurden in persönlichen Gesprächen von den TMZ-Ärzten in Zusammenarbeit mit dem Hausärzteverbund und der Kardiologengemeinschaft Berlin-Brandenburg ausgewählt. Im Januar kommenden Jahres wird die Studie beendet sein – und Gölz dann wieder „Technik-los“. „Am liebsten würde ich mir dann eine Standleitung zur Klinik legen“, sagt er. Auf die Technik vertraut er. „Zweimal ging das Gerät nicht und ich habe einen Neustart gemacht, der ganz einfach war. Außerdem habe ich immer noch meinen Hausnotrufknopf.“

Gölz fühlt sich mit den Messgeräten pudelwohl. So wohl, dass er bald alleine Zelten geht. „Ich fahre an den Fehrbellinsee. Da funktioniert das Handy perfekt. Das habe ich alles schon ausprobiert“, sagt er zufrieden.

Liva Haensel

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