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Gesundheit: Ambrosia und ihre Brüder

Immer mehr fremde Pflanzen und Tiere siedeln sich bei uns an. Wie geht man am besten mit den Neubürgern um?

Sie wandern aus fernen Ländern ein und werden oft als böse angesehen. Doch manchmal werden sie auch gezielt nach Deutschland geholt, aus wirtschaftlichen Gründen oder einfach nur, um das Auge zu erfreuen. Ob bei uns heimisch gewordene Pflanzen und Tiere positiv oder negativ wirken, stellt sich oft erst nach Generationen heraus.

So wurde der Riesen-Bärenklau um 1890 aus dem Kaukasus nach Europa eingeführt, um Gärten und Parks zu zieren. Da das auch als Herkulesstaude bezeichnete Gewächs reichlich Blüten trägt, säte man es der Bienen wegen auch in freier Landschaft an. Heute hat sich die bis zu dreieinhalb Meter hohe Pflanze weit verbreitet. Man findet sie auch auf Spielplätzen, wo sich Kinder oft an Stängel oder Blättern verbrennen. Der Pflanzensaft ruft Jucken und Blasen an der Haut hervor. Es kann sogar zu Fieber und Kreislaufschocks kommen.

Erfreulicher ist die Geschichte anderer, aus Südamerika eingeführter Pflanzen, die zu den Nachtschattengewächsen gehören. Friedrich der Große verhalf der Kartoffel zum Durchbruch. Heute ist die Knolle vom Speiseplan der Deutschen nicht wegzudenken. Ähnliches gilt für die Tomate, die von den Inkas kultiviert und von Kolumbus nach Europa gebracht wurde. Denselben Weg nahm der Tabak, nachdem die Eroberer Amerikas auf den Geschmack gekommen waren.

Doch oft werden Neophyten und Neozoen, so der Fachausdruck für ursprünglich gebietsfremde Pflanzen und Tiere, nicht gezielt mitgebracht, sondern unbeabsichtigt eingeschleppt. Globalisierter Handel und immer mehr Fernreisen verstärken das. „Einheimische Nutzpflanzen werden durch die steigende Zahl eingeschleppter Schädlinge bedroht“, warnt Georg Backhaus, Präsident der Biologischen Bundesanstalt in Göttingen.

Als Beispiel nennt er amerikanische Pilze, die Weinreben schädigen, asiatische Laubholzkäfer und aus den USA stammende Maisschädlinge. Letztere wurden Anfang der 1990er Jahre von amerikanischen Soldaten unabsichtlich auf den Balkan gebracht. Es sei oft das Saatgut, von dem aus Pilze, Bakterien, Insekten oder Viren ihre Invasion starteten, erklärt Andreas von Tiedemann (Universität Göttingen). Das hört sich kriegerisch an, doch für Ingo Kowarik, Pflanzenökologe der TU Berlin, gehört die biologische Besitznahme zum Alltag. „Seit es Leben gibt, verändern Tiere und Pflanzen ihr Areal und besiedeln neue Standorte auch auf Kosten vorhandener Arten“, schreibt der Forscher in seinem Buch über „biologische Invasionen“.

Frank Klingenstein vom Bonner Bundesamt für Naturschutz (BfN) zieht den Begriff Einbürgerung vor. Sie kann gezielt geschehen, wie beim japanischen Bonsai, der mit seiner kleinwüchsigen Harmonie auch deutsche Gartenliebhaber erfreut. Die Hälfte der Neophyten wird jedoch unabsichtlich importiert, wie etwa die Beifuß-Ambrosie, die als stark Allergie erzeugend gefürchtet wird. Die aus Nordamerika stammende Pflanze findet sich in verunreinigtem Vogelfutter.

Bei den Tieren wurde etwa jede dritte Neozoe bewusst eingeführt. Als Beispiel nennt Klingenstein die Waschbären, die hauptsächlich von amerikanischen Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg mitgebracht worden seien. In Europa sind mittlerweile einige hunderttausend der putzigen Pelztiere zu finden, die in Deutschland seit 1954 gejagt werden dürfen. Der Waschbär hat sich gut an die Verhältnisse in seiner neuen Heimat angepasst.

„Seit geraumer Zeit sehen Zoologen im Waschbären eine Raubtierart, die auf dem Weg ist, zum echten Städter zu werden“, sagt Ulf Hohmann vom Naturschutzbund Deutschland. Alles, was ein Waschbär zum Leben benötige, finde er in Menschennähe auf engem Raum: Nahrung in Mülleimern, Obstbäumen, Komposthaufen sowie reichlich Unterschlupf in Schuppen oder in der Kanalisation. In Städten erreichen die Tiere laut Hohmann eine bis zu zehn Mal höhere Siedlungsdichte als in ihrem natürlichen Lebensraum, dem Laubwald.

Dem BfN-Biologen Klingenstein zufolge bedroht der Waschbär auch die Europäische Sumpfschildkröte. Die 15 bis 20 Zentimeter großen Tiere leben in stillen oder langsam fließenden Gewässern und Gräben. Ideale Bedingungen finden sie etwa in den klaren Bächen des Naturparks Nuthe-Nieplitz in Brandenburg. Ausgewachsene Schildkröten haben nur wenige Feinde, zu denen sich nun die Waschbären gesellten. „Sie haben gelernt, die Sumpfschildkröten zu knacken und zu fressen“, sagt Klingenstein.

Im Gegensatz zu menschlichen Einwanderern, die sich ungesetzlich verhalten, lassen sich die eingewanderten Pflanzen oder Tiere nicht einfach wieder ausweisen. Doch wann kann man sie als heimisch bezeichnen? Die Meinungen gehen auseinander. Manche Wissenschaftler bezeichnen die früher gebietsfremden Arten unabhängig vom Zeitpunkt des Einwanderns generell als gebietsfremd. Meist wird jedoch mit dem Jahr 1492 eine Art „Stichtagsregelung“ angewandt. Seit der Entdeckung Amerikas kamen nämlich transkontinentaler Handel und Verkehr stark in Schwung, immer weitere neue Arten wurden eingeführt.

Naturschützer Klingenstein mag gar keine zeitliche Grenze ziehen. Ob eingebürgert oder seit jeher etabliert: „Im Naturschutz akzeptieren wir alles, was keine Probleme macht“, sagt er. Das betrifft die meisten Neobiota, so die zusammenfassende Bezeichnung für neu eingeführte Organismen. Denn als Faustregel gilt das Zehnerprinzip.

Von 1000 eingeschleppten Arten überleben demnach 100 als Individuum. Von diesen können sich zehn etablieren, von denen wiederum nur eine Art ein gefährliches Potenzial hat. Bei Pflanzen zählt Klingenstein in Deutschland 30 bis 50 solcher Problemfälle, bei Tieren kommt er auf zehn bis 20. Dazu mag man die 1905 aus Nordamerika eingeführte Bisamratte zählen, die durch ihr Wühlen Ufer- und Deichbauten zerstört. Auch Schädlinge wie der Kartoffelkäfer oder die Miniermotte sind Neozoen. Die in den 1980er Jahren vor Sylt zu Zuchtzwecken eingebürgerte Pazifische Auster verdrängt im Nationalpark Wattenmeer einheimische Arten wie die Miesmuschel und verringert das Nahrungsangebot für die Vögel.

Auch der Amerikanische Ochsenfrosch vergrößert sein Revier aggressiv. Die aus USA, Kanada oder Mexiko stammende, bis zu 20 Zentimeter große Amphibie wurde überall dort eingeführt, wo man die kräftigen, schmackhaften Schenkel schätzt. In Italien etablierte sich der Ochsenfrosch seit den 1930er Jahren. Auch in Deutschland, vor allem am Oberrhein, ist er mittlerweile zu Hause. Durch seine schiere Größe bedroht er die anderen Amphibienarten, die seinen Lebensraum teilen.

Rückgängig machen lassen sich solche Entwicklungen kaum. „Das ist wie ein Kampf gegen Windmühlen“, sagt Klingenstein. Er plädiert für Vorsorge, etwa im Falle des Grauhörnchens, das 1889 von Nordamerika nach England gebracht wurde. Das rote (europäische) Eichhörnchen zieht beim Kampf um die Nahrung gegenüber dem größeren, kräftigeren Vetter aus Amerika den Kürzeren und wurde fast vollständig verdrängt. Auch in Norditalien finden sich mittlerweile Grauhörnchen. „Sie können bald in Deutschland auftauchen“, befürchtet Klingenstein. Mit der Bundesartenschutzverordnung, die Besitz und Handel von Grauhörnchen verbietet, soll das verhindert werden. In solchen Abkommen, vor allem auf internationaler Ebene, sieht der BfN-Biologe einen Weg, problematischen Artenimport zu verhindern.

Zum Weiterlesen: Ingo Kowarik, „Biologische Invasionen: Neophyten und Neozyten in Mitteleuropa“, Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart, 380 Seiten, 69,90 Euro

Paul Janositz

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