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Gesundheit: Auf Angst folgt Zweifel - eine Ausstellung über inhaftierte Intellektuelle in Buchenwald

Als Retter deutschen Kulturgutes waren "Untermenschen" gut genug: 1943 mussten Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald Holzkisten bauen, in denen wertvolle Bestände der Weimarer Klassikstätten vor Bombenangriffen in Sicherheit gebracht wurden. Kopien dieser Kisten sind nun nach Buchenwald zurückgekehrt: In ihnen liegen Gegenstände, Texte und Fotos, die vom Leben im Lager, der Verdrängung und Aufarbeitung von 73 ehemaligen Häftlingen - Intellektuellen, Künstlern, Wissenschaftlern und Schriftstellern - berichten.

Als Retter deutschen Kulturgutes waren "Untermenschen" gut genug: 1943 mussten Häftlinge des Konzentrationslagers Buchenwald Holzkisten bauen, in denen wertvolle Bestände der Weimarer Klassikstätten vor Bombenangriffen in Sicherheit gebracht wurden. Kopien dieser Kisten sind nun nach Buchenwald zurückgekehrt: In ihnen liegen Gegenstände, Texte und Fotos, die vom Leben im Lager, der Verdrängung und Aufarbeitung von 73 ehemaligen Häftlingen - Intellektuellen, Künstlern, Wissenschaftlern und Schriftstellern - berichten. Nicht die Namenlosen stehen im Mittelpunkt der Ausstellung "Leben - Terror - Geist" auf dem Dachboden des Verwaltungsgebäudes.

Ist es legitim, aus 200 000 Häftlingen nur 73 herauszugreifen, fragt sich Gedenkstätten-Leiter Volkhard Knigge zur Eröffnung. "Ja", antwortet er, "weil die, die Weimar zuhören wollten, es nicht sollten." Und auch, weil die erste Ausstellung der Gedenkstätte im Kulturstadtjahr "Vom Antlitz zur Maske" den Anonymen gewidmet war. Von geistig Privilegierten spricht Knigge nun. Tatsächlich, berichtet Stéphane Hessel, habe er sich so gefühlt in Buchenwald. Er hatte sich Verse von Hölderlin, Rilke, von Hofmannsthal, Celan bewahrt. Gefangene ohne dieses Über-Lebensmittel hingen von der Solidarität ihrer Mithäftlinge ab. Ein Gefühl europäischer Zusammengehörigkeit, das Hessel zum ersten Mal in Buchenwald erlebte.

Zurückgekehrt ist der 1944 als Flugnavigator des De Gaulleschen Geheimdienstes Verhaftete an diesem Sonntag nicht nur, um einen Blick in "seine" Kiste zu werfen. Auf Einladung des Deutsch-Französischen Jugendwerks will er Jugendlichen seine Erfahrungen weitergeben. Nicht aus dem Theoretisieren hat Hessel Kraft zum Weiterleben gezogen: Nach dem Krieg erarbeitete er die UN-Menschenrechtscharta mit, er trat in den diplomatischen Dienst Frankreichs ein und wurde 1985 zum "Ambassadeur de France" ernannt. Sein Lebensglück seien Begegnungen mit Menschen gewesen, die die gleiche Hoffnung auf Achtung der Menschenrechte hatten wie er. Die Mappe in der ansonsten leeren Kiste zeigt Hessel mit dem Dalai Lama. In seiner Autobiographie bekennt er, kein typischer Häftling gewesen zu sein: Nur wenige Monate brachte er auf dem Ettersberg zu. Als habe er nie einen Fuß in das Lager gesetzt, sieht er nach dem Krieg die Bilder der Leichenberge.

Leer bleiben auch die Kisten des ehemaligen spanischen Kulturministers Jorge Semprun und des Autors Imre Kertész. Mit einem Fax enthebt der NO!-Art-Vertreter Boris Lurie die Ausstellungsmacher erst wenige Tage vor der Eröffnung der Sorge, auch seine Kiste werde die Erwartungen nicht erfüllen, die man vor dem Heben des Deckels hegt. Die Geschichte von der "guten KA-ZET-HUENDIN" kommt dennoch unerwartet. "Punch mochte keine Kinder, Heimlose und Hippies . . ." Die meisten Intellektuellen geben schriftlich Zeugnis ihrer selbst. Hans Günther Adlers im Lager Langenstein gefertigter Gürtel ist eine der Ausnahmen: An ihm hatte der Schriftsteller und Pädagoge ein Metallkästchen befestigt, in dem er Gedichte aufbewahrte. Überleben durch Hoffen. Doch nicht die Hoffnung ist das letzte Wort an der bemalten Wand des Dachbodens: Auf die "Angst" am Beginn der Wortkette folgt am Ende der "Zweifel". "Das ist schade", sagt Stéphane Hessel.Buchenwald, bis 20. Oktober.

Jörg Völkerling

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