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Gesundheit: Auf einem Lichtstrahl reiten

Auch die Wissenschaft braucht Vorstellungskraft

Der Blitz der Erkenntnis schlägt da ein, wo er will. Und längst nicht immer dort, wo man ihn erwartet. Kary Mullis zum Beispiel traf er auf dem Motorrad bei Tempo 70, nachts auf dem Pacific Coast Highway zwischen San Francisco und Mendocino. Hier hatte Mullis plötzlich die Idee seines Lebens. Er erfand eine Methode, um Erbinformation unendlich oft zu kopieren. Das Verfahren mit Namen Polymerase-Kettenreaktion brachte Mullis 1993 nicht nur den Nobelpreis für Chemie ein, sondern veränderte auch das Gesicht der Biotechnik für immer.

Wissenschaft braucht Ideen, Inspiration, Imagination – das hat sie mit der Kunst gemeinsam. Für John Maddox, den ehemaligen Chefredakteur des Wissenschaftsmagazins „Nature“, ist die Vorstellungskraft deshalb so etwas wie eine gemeinsame Basis von Kultur und Wissenschaft. Sie ist es, die Thomas Mann seine Novelle „Der Tod in Venedig“ ersinnen lässt. Und sie ist es, die Kopernikus dazu bringt, die Sonne in den Mittelpunkt des Universums zu rücken, oder den jungen Einstein dazu, in Gedanken auf einem Lichtstrahl zu reiten.

„Originalität und Kreativität in den Naturwissenschaften“ – unter diesem Motto stand das Symposium, das die Freie Universität am Freitag zu Ehren des Nobelpreisträger-Treffens in Berlin ausgerichtet hatte. Mit auf dem Podium dabei waren fünf Nobelpreisträger, unter ihnen der Chemiker Mullis, der zum Thema Kreativität anmerkte: „Bei mir zu Hause hängen Atommodelle wie Kunstwerke von der Decke!“ Roderick MacKinnon, amerikanischer Chemie-Nobelpreisträger 2003, lässt im Geiste Eiweißmoleküle zu großen Gebäuden heranwachsen. Sich selbst sieht er am liebsten als Kalium-Atom: „In Gedanken durchquere ich das Eiweiß als Kalium – und stelle mir vor, wie sich das anfühlt.“

Albert Einsteins Name fiel bei dem Symposium mehr als einmal. Und das nicht nur, weil die Nobelpreisträger aus Anlass des Einsteinjahres in Berlin waren. Einsteins Unangepasstheit, seine Courage und unstillbare Neugier erscheinen bis heute als wichtige Voraussetzungen dafür, der Wissenschaft – und wohl auch der Kunst – neue Welten zu erschließen. „Einstein war 13, als er in Dinge in Frage stellte, über die die wissenschaftlichen Autoritäten seiner Zeit noch nicht einmal nachgedacht hatten“, sagte Chemie-Nobelpreisträger Harold Kroto.

Bei aller Gemeinsamkeit gibt es auch Trennendes zwischen Wissenschaft und Kunst. „Wissenschaftliche Ideen müssen sich an der Wirklichkeit messen“, sagte Maddox. „Ein Künstler kann produzieren, was er will, solange er es verkaufen kann“, ergänzte Physik-Nobelpreisträger Ivar Giaever. „Aber ein Wissenschaftler kann nun einmal das Fallgesetz nicht so einfach ändern.“

Einen weiteren Unterschied arbeitete der Mediziner Gustav Born heraus, Sohn des Physik-Nobelpreisträgers Max Born. Zwar mussten wissenschaftliche Universalisten wie Newton, Einstein oder Virchow genauso ihr Handwerk lernen wie Bach oder Mozart. „Doch hier endet die Gleichsetzung“, sagte Born. „Denn die Relativitätstheorie oder die natürliche Auslese wären irgendwann entdeckt worden, auch wenn es Einstein oder Darwin nicht gegeben hätte. Aber ohne Bach und Mozart hätten wir weder die G-moll-Fuge noch die G-moll-Symphonie.“ Wissenschaftler entdecken, was ist; Künstler schaffen Neues.

„Die Geschichte ist nicht auf Seiten der großen Wissenschaftler-Heere, wie sie durch immer neue Fusionen in der Pharma-Industrie geschaffen werden“, merkte Born an. „Denn Ideen kommen von Individuen.“ Masse erzeugt nicht automatisch Klasse. Aber ein stimulierender Austausch mit Kollegen kann sehr wichtig sein. Das berühmteste Beispiel dafür sind James Watson und Francis Crick, die bei der Entdeckung der DNS-Doppelhelix Hand in Hand arbeiteten. Sie waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort, denn an der Universität Cambridge, an der Watson und Crick forschten, hatte der deutsche Emigrant Max Perutz ein molekularbiologisches Labor aufgebaut, das zur Brutstätte der modernen Lebenswissenschaften wurde.

Ein bisschen Glück braucht man also auch. Und noch etwas anderes. Einstein hatte mit 13 Jahren die Maxwellschen Feldgleichungen verstanden, die den Zusammenhang von Elektrizität und Magnetismus beschreiben. Für die meisten von uns werden diese Gleichungen noch im Erwachsenenalter ein Rätsel bleiben. Einstein aber besaß etwas, was in keine Formel passt: Genie.

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