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Gesundheit: Das Schicksal des Schüchternen

Eine mandelförmige Schaltzentrale im Hirn entscheidet darüber, ob wir zurückhaltend oder offensiv sind

Stellen Sie sich vor: Ein Raum mit Menschen, ein paar bekannte, zum Teil auch fremde, eine kleine Party vielleicht. Auf einmal spricht man Sie an – schlagartig stehen Sie im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Es wird still. Alle starren Sie an, warten darauf, dass Sie das Wort ergreifen ...

Was tun Sie? Das hängt ganz davon ab, zu welcher Gruppe von Menschen Sie gehören. Am einen Ende der Skala befindet sich der Schüchterne, der Woody-Allen-Typ. Für ihn bedeutet die plötzliche Aufmerksamkeit unweigerlich: ein knallrotes Gesicht, Herzrasen, feuchte Hände, Stottern. Am anderen Extrem treffen wir den Whoopi-Goldberg-Typ, den Draufgänger, den Vorlauten. Dieser Typus blüht jetzt richtig auf, denn Aufmerksamkeit, das ist etwas, wovon er gar nicht genug bekommen kann.

Introvertiert, extrovertiert – kaum eine Persönlichkeitseigenschaft ist von Psychologen so ausführlich studiert worden, wie die, ob man eher die Geselligkeit und damit auch Aufmerksamkeit sucht, oder ob man sich lieber zurückzieht, lieber mit sich allein ist. Die meisten Menschen befinden sich irgendwo zwischen den beiden Extremen. Dennoch: Oft zeigt sich eine klare Neigung hin zu einem der beiden Pole.

Nur: Woher kommen diese Unterschiede? Psychologen aus Boston im US-Bundesstaat Massachusetts haben das Phänomen Schüchternheit nun bis ins Gehirn verfolgt und dabei zwei aufschlussreiche Entdeckungen gemacht.

Babys unter Beobachtung

Erstens: Wer wie auf die plötzliche Aufmerksamkeit reagiert, hängt von einem kleinen Nervenzellhaufen tief im Innern des Hirns ab, dem Mandelkern. Der Mandelkern wird auch als das „Angstzentrum im Kopf“ bezeichnet, weil dieses Hirnareal immer dann alarmiert wird, wenn wir uns fürchten. Weiterer Befund der Studie: Bereits in unserem zweiten Lebensjahr steht fest, ob man später im Leben eher zu den Woody Allens oder den Whoopi Goldbergs gehört. Schüchternheit ist, so scheint es, keine Erziehungssache, sondern angeboren.

Für ihre Untersuchung – veröffentlich im US-Fachmagazin „Science“ – legte das Team um den Psychiater Carl Schwartz von der Harvard-Universität 22 junge Erwachsene (Durchschnittsalter: 21,8 Jahre) in einen Kernspintomographen, der ihr Hirn durchleuchtete, während sie sich Bilder von Gesichtern ansahen. Manche Gesichter kannten sie schon, andere waren neu. Das Besondere an dem Versuch: Alle Probanden hatten in der frühen Kindheit schon einmal im Dienst der Wissenschaft gestanden. Rund 20 Jahre zuvor hatte der Harvard- Psychologe Jerome Kagan sie als Babys beobachtet. Manche der Babys, so erschien es dem Entwicklungspsychologen damals, gaben sich eher ruhig, zurückhaltend, ja gehemmt. Andere dagegen waren ausgesprochen forsch – wurden sie beispielsweise mit einem Spielzeugroboter konfrontiert, der plötzlich anfing zu sprechen, reagierten sie nicht mit Scheu, sondern krabbelten munter darauf zu.

Zwei Jahrzehnte später. Ein Teil dieser damals als Angsthasen oder Draufgänger klassifizierten Babys, liegt nun im Kernspintomographen. Dabei zeigen sich keinerlei Unterschiede der Hirnaktivität – bis auf eine Struktur: im Mandelkern. Sehen die Probanden, die man schon im zweiten Lebensjahr als schüchtern eingestuft hatte, ein fremdes Gesicht, erregt sich der kleine Angstkern in ihrem Kopf deutlich mehr als der Mandelkern der Ungehemmten. Die fremden Gesichter flößen ihnen schlicht mehr Angst ein.

Die Körpersäfte

„Wir sind davon überzeugt, dass sich dieser Zusammenhang durchs ganze Leben zieht“, sagt Schwartz. Schüchternheit, glaubt der Psychiater, ist fest verankerte Eigenschaft unseres Gehirns: Je nachdem, wie unser Kopf als Kind verdrahtet ist, reagieren wir auf Neues eher ablehnend oder offensiv.

Diese Vorstellung, unser Temperament sei eine angeborene Körpereigenschaft, geht auf den griechischen Arzt Hippokrates (460-377 v. Chr.) und dem römischen Gladiatorendoktor und Anatom Claudius Galenus (129-200) zurück. Sie entwickelten die Lehre der „Körpersäfte“: Melancholiker zeichnen sich demzufolge etwa durch ein Zuviel an schwarzer Galle aus. Bei Cholerikern herrscht die gelbe Galle vor.

Ob angeboren oder nicht – gesichert scheint, dass die Hirne von Introvertierten und Extrovertierten grundsätzlich anders ticken. So legten Wissenschaftler der Universität von Iowa 18 Probanden in einen Scanner (Positronen-Emissions-Tomographen, PET) und registrierten dabei die Grundaktivität der Gehirne – die Versuchspersonen bekamen also gar keine Aufgabe, sondern sollten sich in dem Gerät einfach nur entspannen. Der Befund: Bei den Introvertierten zeigt sich eine höhere Erregung im Frontalhirn – der Bereich, mit dem wir beispielsweise Planen und Denken. Bei den Extrovertierten leuchteten insbesondere der Schläfenlappen und andere Gebiete auf, die sich mehr mit der Verarbeitung von äußeren Reizen wie Zusehen und -hören beschäftigen.

Kurz: Die Hirne der Extrovertierten waren ganz auf die Außenwelt, die der Introvertierten eher auf sich eingestellt – was nichts daran ändert, dass nicht auch die Woody Allens dieser Welt einmal die Lacher auf ihrer Seite haben können.

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