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Gesundheit: Der Mensch ist entziffert: "Riesenfrustration" unter Forschern

Manche Naturwissenschaftler sahen dem Regierungswechsel 1999 mit Sorge entgegen, weil sie Einschränkungen und Mittelkürzungen bei der gentechnischen Forschung befürchteten. Eher das Gegenteil ist eingetreten.

Manche Naturwissenschaftler sahen dem Regierungswechsel 1999 mit Sorge entgegen, weil sie Einschränkungen und Mittelkürzungen bei der gentechnischen Forschung befürchteten. Eher das Gegenteil ist eingetreten. Die Bundesregierung, insbesondere das Bundesforschungsministerium, intensivierte sogar ihre Anstrengungen, um international mitzuhalten. Bisheriger Höhepunkt war die Ankündigung von Bundesforschungsministerin Edelgard Bulmahn im Januar dieses Jahres, für ein Biotechnologie-Programm in den nächsten fünf Jahren 1,5 Milliarden zur Verfügung zu stellen. Hinzu kommen 350 Millionen Mark für die nationale Genomforschung aus der Versteigerung der UMTS-Lizenzen - zusammen eine Mittelerhöhung um 123 Prozent seit 1998.

Aber just um die UMTS-Mittel ist ein Verteilungskampf unter den Forschern entbrannt. Denn 80 Prozent des bis zum Jahr 2003 auszugebenden Geldes soll voraussichtlich an das Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik und an vier mit automatisierter Erbgut-Entzifferung befasste Großforschungseinrichtungen gehen. Übergangen fühlen sich insbesondere die Forscher an den Hochschulen und Universitätskliniken. Es sei zwar gut, dass es nun mehr Geld gebe, doch herrsche über die Mittelverteilung eine "Riesenfrustration" in der Forschergemeinde, berichtet Ulrich Dirnagl, Schlaganfallforscher an der Charité. "Die Fronten haben sich verhärtet."

Dirnagl beklagt die Unterfinanzierung der Hochschulen, unter der die Forschung zu leiden habe. Es gebe an den Universitäten hervorragende Kompetenz in der Genforschung. Wer aber als Hochschul-Wissenschaftler oder Mediziner von den UMTS-Millionen profitieren wolle, werde zum "Lieferanten" von Patientenmaterial und Gewebe für die Großforschungszentren degradiert, klagt Dirnagl.

André Rosenthal, führender deutscher Genom-Entzifferer und Geschäftsführer der Berliner Biotechnik-Firma Metagen, bekräftigt die Kritik des Mediziners Dirnagl. Der Professor an der Universität Jena fordert, die 350 Millionen Mark über die Deutsche Forschungsgemeinschaft zu verteilen. Diese Organisation sollte eingehende Anträge auf Fördermittel unabhängig prüfen und das Geld an die besten Forschungsvorhaben verteilen. Rosenthal fürchtet, dass nach dem heutigen Stand "der größte Teil des Geldes versickert und nur dazu dient, um Machtstellungen der Helmholtz-Gemeinschaft gegenüber den Universitäten auszubauen".

Der streitbare Forscher sieht in der Vergabe des Löwenanteils der Mittel an die Großforschungseinrichtungen auch einen Versuch des Forschungsministeriums, die Kontrolle zu behalten. Denn die Großforschungseinrichtungen werden zu 90 Prozent vom Bund finanziert und sind ihm unterstellt, während die Hochschulen in den Machtbereich der Länder fallen. Rosenthal bezweifelt aber, dass die Großforschungseinrichtungen die wissenschaftliche Qualität haben, um 80 Prozent des Geldes für sich beanspruchen zu können.

Hinter der Kritik verbirgt sich auch ein wissenschaftlicher Richtungsstreit um die Frage, ob die Biologie ganz neue Wege beschreiten soll. Denn der vom Forschungsministerium gewollte Ausbau der automatisierten Genom-Erforschung ist in Rosenthals Augen falsch. "Wir brauchen nicht mehr Roboter für die jetzt anstehende funktionelle Analyse der Gene, sondern kluge medizinische Fragestellungen." Für Rosenthal ist klar, dass Deutschland in Bezug auf die automatisierte Genomforschung das Rennen im Vergleich zu den USA verloren hat.

Hans Lehrach vom Max-Planck-Institut für Molekulare Genetik verteidigt dagegen die weitere systematische Analyse mit Hilfe von Automaten und den Aufbau entsprechender Einrichtungen an den Großforschungseinrichtungen. Nur sie bietet in seinen Augen die Gewähr dafür, die Lebensvorgänge in ihrer Vielgestaltigkeit eines Tages verstehen zu können. Lehrach betracht Leben "als komplexes Netzwerk vieler verschiedener Gene und Genprodukte, die wir parallel analysieren und verstehen können".

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