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Gesundheit: Detlev Ganten über den Stand der Genforschung in Deutschland (Interview)

Detlev Ganten (59) leitet das Max-Delbrück-Centrum in Berlin-Buch und ist Vorsitzender der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, in der 16 "Großforschungseinrichtungen" mit insgesamt 22 500 Mitarbeitern zusammgefasst sind. Für seine Forschungen auf dem Gebiet der Molekularbiologie und Genetik des Bluthochdrucks erhielt Ganten zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Max-Planck-Forschungspreis und den CIBA-Preis des Rats für die Bluthochdruckforschung der Amerikanischen Herz-Gesellschaft.

Detlev Ganten (59) leitet das Max-Delbrück-Centrum in Berlin-Buch und ist Vorsitzender der Helmholtz-Gemeinschaft Deutscher Forschungszentren, in der 16 "Großforschungseinrichtungen" mit insgesamt 22 500 Mitarbeitern zusammgefasst sind. Für seine Forschungen auf dem Gebiet der Molekularbiologie und Genetik des Bluthochdrucks erhielt Ganten zahlreiche Auszeichnungen, darunter den Max-Planck-Forschungspreis und den CIBA-Preis des Rats für die Bluthochdruckforschung der Amerikanischen Herz-Gesellschaft.

Herr Ganten, hat Sie die Ankündigung von Craig Venter überrascht, das menschliche Erbgut zu 99 Prozent entschlüsselt zu haben ?

Nein, das hat uns nicht überrascht. Aber der Zeitpunkt war nicht klar. Die Frage ist ja immer, wann solche Ergebnisse publiziert werden und wie präzise die Angaben sind, die man damit in die Öffentlichkeit trägt.

Meinen Sie, dass Venter zu früh an die Öffentlichkeit gegangen ist?

Ich will nicht sagen, dass es zu früh ist und dass die Daten Venters nicht zuverlässig seien. Er behauptet, es seien 99 Prozent des Genoms entschlüsselt. Es ist jetzt wichtig, eine höhere Präzision der Daten zu erhalten. Es war in diesem Fall sicherlich auch eine Frage des Wettrennens verschiedener Forschergruppen. In den USA kommt außerdem das geschäftliche Interesse hinzu.

In Deutschland gibt es auch ein Zentrum für Genomforschung mit Standorten in Berlin, Heidelberg und Jena. Worauf konzentriert man sich hier bei der Arbeit?

Zunächst einmal muss man betonen, dass Craig Venter mit privaten Mitteln gearbeitet hat. Daneben gibt es eine öffentlich finanzierte Aktivität, an der auch Deutschland beteiligt ist. Auch die Forschungen in Heidelberg, Berlin, Jena und weltweit sind bereits in Teilaspekten veröffentlicht und weitere werden folgen.

Wann soll das sein?

Im Mai gibt es eine große Konferenz, auf der Daten veröffentlicht werden sollen. Was dann im Einzelnen publiziert wird, steht noch nicht fest. Aber ein Chromoson wird dort sicherlich vollständig publiziert werden. Das Chromoson 22 ist bereits publiziert, jetzt ist das Chromosom 21 dran.

Worin unterscheidet sich die Arbeit in Deutschland von der in den USA?

Ein Teil der Wissenschaftler beteiligt sich an der Gesamtsequenzierung des Genoms. Wenn Sie so wollen, untersuchen wir die lange Kette der genomischen Struktur. Und dann gibt es eine weitere große Wissenschaftlergruppe, an der Deutschland einen wesentlichen Anteil hat. Dabei handelt es sich um die Erforschung der c-DNA. Das ist das Erbmaterial, das von der genomischen Struktur in die Botensequenz übersetzt wird, aus der dann wiederum die Funktionsproteine erstellt werden. Diese c-DNA-Banken werden sehr intensiv in Heidelberg und Berlin bearbeitet und voll sequenziert. Auf diesem Gebiet sind wir führend in der Welt.

Warum ist Deutschland überhaupt so spät in die Genomforschung eingestiegen?

Dafür gibt es viele Gründe. Der wichtigste liegt sicherlich in der Historie. Die Genforschung ist durch die verrückten, rassenhygienischen Vorstellungen der Nationalsozialisten und durch die Verwicklung wichtiger deutscher Genforscher darin derart in Verruf geraten, dass lange Zeit Genforschung politisch und gesellschaftlich in Deutschland nicht durchsetzbar war. Erst nach massivem Drängen der Wissenschaft hat sich die Politik bewegen lassen, vier Genzentren aufzubauen. Der internationale Zug fährt inzwischen so schnell, dass wir kaum hinterher kommen. Aber vielleicht können wir uns gerade dadurch von den historischen Belastungen befreien. Wir hatten erst in der vergangenen Woche eine Begutachtung der deutschen Genomforschung in den Helmholtz-Zentren, die mit den Max-Planck-Instituten einen wesentlichen Teil der Genomforschung tragen. Es wurde uns noch einmal bestätigt, dass wir auf sehr hohem Niveau forschen.

Würde es sich jetzt noch lohnen, mehr zu investieren?

Auf jeden Fall! Denn die Struktur des Genoms ist nichts anderes als eine Aneinanderreihung von Informationsmolekülen, die bisher nichts über die Funktion aussagen kann. Wir wissen nur von wenigen Genen, was sie wirklich machen. Und ihr Zusammenspiel ist uns bislang völlig fremd.

Und bei der Erforschung dieses Zusammenspiels könnte auch Deuschland eine führende Rolle einnehmen?

Da können wir sehr viel erreichen! Es geht vor allem darum, Verbindungen zur Medizin zu schaffen. Dazu braucht man auch Modellorganismen. Ohne sie können wir Funktionen nicht wirklich untersuchen. Es gibt bereits einige Ergebnisse, zum Beispiel in der Erforschung des Fadenwurms c. Elegans und des Zebrafischs. Aber mit diesen Labororganismen sind wir immer noch weit weg vom Menschen. Bei Maus und Ratte kennen wir uns ziemlich gut aus. Dort können wir die Genfunktion mit Krankheitsbildern in einen Zusammenhang bringen.

Sind denn solche Ergebnisse wirklich auf den Menschen übertragbar?

Ja, denn die Ratten und Mäuse sind in ihrer Genfunktion dem Menschen sehr nahe. Da gibt es eine zum Teil 100-prozentige Übereinstimmung. In der vergleichenden Genomforschung können wir daher sehr schnelle und präzise Schlüsse ziehen. Die müssen aber dann noch am Menschen überprüft werden.

Erwarten Sie, dass nun das Geschäft mit den Genen losgehen wird?

Natürlich! Viele neue Medikamente werden auf Grund der Genanalyse und der darauf folgenden Forschungen über die c-DNA und die Eiweiße entwickelt werden. Wir haben in Berlin eine große Protein-Strukturfabrik, die mit 30 Millionen Mark vom Bund gefördert wird. Wenn hier die Struktur der Eiweiße erforscht ist, können durch Modelle zunächst am Computer neue Medikamente entworfen werden, die dann nur noch nachsynthetisiert werden müssen.

Welche Medikamente könnten das zum Beispiel sein?

Etwa gegen die Alzheimersche Krankheit, Krebs, aber auch gegen Bluthochdruck und Herzstörungen. Für viele Krankheiten, die bisher nicht heilbar sind, könnte es neue Medikamente geben.

Da taucht unweigerlich die Frage nach Patentrechten auf. Beim Aids-Virus hat es bereits Patentanmeldungen gegeben, obwohl viele Prozesse noch gar nicht geklärt sind.

Patente müssen natürlich so ausgereift sein, dass eine Machbarkeit plausibel ist. Damit ist überhaupt nicht gesagt, ob dann auch ein Medikament entwickelt werden kann. Von Tausenden Patenten wird vielleicht eins marktfähig werden. Aber die Personen, die Patente haben, beherrschen natürlich später den Markt und die Lizenzen.

Werden das vorwiegend US-Firmen sein?

Das menschliche Genom ist bislang nicht patentiert. Das war ja unsere große Sorge, dass die gesamte natürliche Struktur patentiert würde. Aber da gibt es auch nach den Äußerungen von Blair und Clinton einen Konsens. Jetzt steht die Sache so, dass nicht die natürliche Struktur patentiert werden kann, sondern dass zu einem Patent die Funktion und die Anwendungsmöglichkeiten dazu gehören müssen. Insofern haben wir noch eine große Chance, wenn wir jetzt intensiv in die Genomforschung einsteigen. Das Interview führte Thomas de Padova

Herr Ganten[hat Sie die Ankündigung von Crai]

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