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Gesundheit: „Die Jungen werden die Alten beschützen“

Einen Krieg der Generationen wird es nicht geben, sagt der Berliner Alternsforscher Paul B. Baltes

Herr Baltes, welches ist das schönste Alter? Vielleicht die Zeit nach dem 65. Geburtstag, wenn man – weitgehend frei von beruflichen Verpflichtungen – das junge Alter genießen kann?

Biografien sind sehr komplex und unterschiedlich. Lebensstufen, historische Perioden und Zufallsereignisse bilden eine Mischung, die weniger altersspezifisch ist, als man dies meist annimmt. Die emotionalen Höhepunkte des Lebens tendieren also nicht zu Fixpunkten, was das Alter angeht. Was die allgemeine Lebenszufriedenheit im Alter betrifft: Ältere fühlen sich seelisch und körperlich meist wohler als man das üblicherweise glaubt. Relativ gesehen, will man mit zunehmendem Alter allerdings immer jünger sein. Die meisten wollen zwar alt werden, aber nicht alt sein.

Und wie fühlen Sie sich selbst?

Ich selbst bin überrascht, wie gut ich mich gegenwärtig fühle. Trotz einiger Schicksalsschläge scheint die Gewinn-Verlustbilanz meines Lebens zu stimmen, die Zukunft ist nicht leer, sondern voller reizvoller Möglichkeiten, im Privaten wie im Beruflichen. Was gelegentlich im Wege steht, ist mein fachliches Wissen über das Alter. Das setzt dem Optimismus Grenzen.

Ist die weit verbreitete Angst vor dem Alter also doch berechtigt?

Ja und Nein. Es gibt riesige Variationen im Altwerden. Nein ist die Antwort, wenn es um das junge Alter geht, den Bereich von etwa 60 bis 80. Da gibt es viel Grund für eine Art Aufbruchsstimmung. Die jungen Alten werden fitter, körperlich und geistig. Gutes Alter in diesem Altersbereich ist für viele eine Realität, wie etwa die Berliner Altersstudie gezeigt hat. Das fragende und gelegentlich sogar melancholisch gestimmte Ja bezieht sich auf das hohe Alter, die 80 bis 85 plus. Man denke nur daran, dass fast 50 Prozent der Neunzigjährigen an einer Demenzerkrankung leiden. Im ganz hohen Alter ist länger zu leben also weniger attraktiv, so sagt zumindest die gegenwärtige Forschung.

Droht Deutschland in 20, 30 Jahren ein Bürgerkrieg der Generationen – wenn sich die 30-Jährigen weigern, für die Renten der Großeltern aufzukommen?

Langzeitprognosen sind der Sündenfall der meisten Wissenschaftler, aber diese Sünde bin ich in diesem Fall bereit zu begehen. Nein, der echte Generationskrieg, wie er gelegentlich an die Wand gemalt wird, wird aus meiner Sicht nie stattfinden. Die Generationsdynamik ist völlig anders gestrickt als andere Sozialkonflikte. Der Generationenkonflikt ist weniger ein Gegeneinander denn ein Miteinander, ganz anders als die üblichen Sozialkonflikte, also etwa der zwischen Reich und Arm oder Schwarz und Weiß. Wir können nicht gleichzeitig schwarz und weiß sein, aber wir können in unserem Kopf gleichzeitig jung und alt sein. Die Jugend blickt auf das Alter und nach einigem Nachdenken erkennt sie, dass es dabei auch um ihre Zukunft geht; zudem stehen die eigenen Eltern für die Alten. Daher werden die Jüngeren im Ernstfall das Alter beschützen. Spiegelbildlich trifft dies vielleicht noch mehr auf die Alten zu. Was uns fehlt, ist die politische Führungskraft, die richtigen Entscheidungen zu treffen und die Begründungen vor dem Hintergrund des modernen Lebensverlaufs überzeugend darzulegen.

Der medizinische Fortschritt führt dazu, dass immer mehr Menschen ein sehr hohes Alter erreichen. Kann die Gesellschaft im Umgang mit den ganz Alten Schritt halten?

Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Strukturen und Produktpaletten sind, was den modernen Lebensverlauf und das Alter betrifft, veraltet, obsolet.

Vor allem fehlen die gesellschaftlichen Optionen und Vorbilder, wie man im Alter produktiv sein kann. Der Wirtschaftsfaktor Alter wird jedoch glücklicherweise endlich mehr und mehr erkannt. Ältere sind im Durchschnitt nicht arm, sie haben Bedürfnisse für unterstützende Technologien, im Verkehrswesen, im Haushalt, in der Körperpflege. In amerikanischen Kaufhäusern findet man heute bereits große Abteilungen für so genannte Silver- oder Seniorprodukte. Das ist bei uns erst im Entstehen.

Was unterscheidet das Lernvermögen von Jungen und Alten?

Relativ gesehen wird das Lernen mit dem Alter schwieriger, es dauert länger und ist fehlerhafter. Aber die meisten sind auch im hohen Alter lernfähig, lernfähiger als man dies meist annimmt. Zum Lernen gehört auch der motivational-emotionale Einsatz, also zu glauben, weiterhin veränderungs- und entwicklungsfähig zu sein. In vieler Hinsicht glauben wir Deutsche allzu sehr an ein in die Wiege gelegtes Talent und zu wenig an unsere eigene Gestaltungskraft. Besonders wichtig ist auch, den Körper fit zu halten.

Das hilft beim Lernen?

Es geht dabei weniger darum, durch körperliches Training das Gehirn fit zu machen, sondern den Geist von der Belastung durch körperliche Aktivitäten frei zu machen. Die Koordination eines untrainierten oder auch übergewichtigen Körpers beansprucht Gehirnkapazitäten, beim Gehen und Gleichgewichthalten beispielsweise. Es bleibt weniger geistige Kapazität für anderes. Wer also seinen Körper vernachlässigt, verschwendet geistige Kräfte, die man an sich für andere, im engeren Sinn geistige Dinge einsetzen möchte. Auch Unternehmen müssen darüber nachdenken, die geistige Kraft ihrer Arbeitnehmerschaft sowie deren Langzeitpotenzial dadurch zu verbessern, dass sie beispielsweise Fitness-Center im Betrieb einrichten. Die gegenwärtige Forschung legt nahe, dass sich dies auch ökonomisch lohnen könnte.

Braucht Deutschland einen neuen „Rat der Weisen“ – einen think tank älterer Spezialisten, die ihre Lebenserfahrung und ihren Pragmatismus an Politik und Gesellschaft weitergeben?

Im Allgemeinen befürworte ich sehr, das Wissen der älteren Generationen in die Beratungs- und Entscheidungsprozesse unserer Gesellschaft einzubringen; nicht so sehr im Interesse der Älteren, sondern im Interesse aller Lebensalter. Dass im deutschen Bundestag so wenig Alte sitzen, ist dem Gemeinwohl schädlich. Die meisten wissen es nicht. Aber man stelle sich vor: weniger als eine Handvoll der Gewählten waren bei der letzten Bundestagswahl 70 Jahre alt. Das ist in den USA, dem zumindest vermeintlichen Land des Fortschritte, ganz anders. Ob man hieraus die Empfehlung ableiten soll, einen Rat der Weisen ins Leben zu rufen, ist eine andere Frage. Ich stehe eher auf altersumgreifender Integration des Diskurses, auf Verständigung der Lebensalter im gemeinsamen Ringen, denn auf Separatismus. Deshalb habe ich auch ein Vorurteil gegenüber den Grauen Panthern. Sie scheinen, wenn auch zunehmend weniger, vor allem sich selbst, die Alten, im Auge zu haben. Wie ich schon sagte, „Alt für Jung“ ist mein Lieblingsmotto.

Haben Sie ausgelernt, Herr Baltes? Gibt es noch ein Wissens- oder Forschungsgebiet, dass Sie sich neu erschließen wollen?

Wenn man Glück hat, ist das Leben ein wundersames Abenteuer, eine aufregende und meist erfreuliche Erkundungsreise. In diesem Sinne: Ja, ich habe noch Ziele, die mich reizen, auch im Beruflichen. So habe ich gerade einen permanenten Teilzeitruf auf eine „Distinguished Professor- und Fellowship“ in den USA angenommen. Und um meiner Institution gegenüber fair zu sein, auch mein Institut, das Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, und die Max-Planck-Gesellschaft wollen mich nicht ganz loslassen. Sie möchten, dass ich für eine Weile weiterhin aktiv bleibe und helfe, ein internationales, virtuelles Forschungsnetzwerk „Gerontologie“ mit verhaltens- und sozialwissenschaftlichem Schwerpunkt ins Leben zu rufen. All dies sind attraktive Optionen. Aber die Gefahr dieser Optionen besteht dennoch darin, allzu sehr in Kontinuität zu leben. Hoffentlich gelingt es mir, den imaginären Freiraum des Alters nicht ganz aus den Augen zu verlieren, die Sehnsüchte weiterhin vor allem auf die Gestaltung des Abenteuers Zukunft zu richten.

Das Gespräch führte Amory Burchard

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