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Gesundheit: Die Kraft der Medizin

Wissenschaft als Jobmotor: Wie Berlin ein Weltzentrum der Gesundheitsforschung werden könnte

Alle Welt redet von der Wissensgesellschaft, die unsere Zukunft bestimmen wird. Berlin fällt im Vergleich mit anderen Regionen zurück. Das zeigt eine Studie, die die Metropolen Europas vergleicht. Während die Zahl der wissensbasierten Arbeitsplätze in Dublin, Helsinki und Amsterdam deutlich steigt, sind die Zahlen in Berlin rückläufig. Beim prozentualen Anteil der Erwerbstätigen in wissensintensiven Industrien liegen München (12,9 Prozent) oder Köln (10,3 Prozent) deutlich vor Berlin (5,9 Prozent).

Der Wettbewerb der Metropolen wird sich mittel- und langfristig besonders in der Verknüpfung von Wissenschaft und Forschung mit der Wirtschaft abspielen. Hier entstehen die Arbeitsplätze der Zukunft. Doch der Weg in die Wissensgesellschaft darf nicht alleine wirtschaftlich begründet werden, sondern muss human gestaltet und positiv erlebbar sein.

Dem großen Bereich der Lebenswissenschaften und der biomedizinischen Forschung kommt dabei eine besondere Bedeutung zu. Es gibt nur wenige Forschungsgebiete, die so umfassend, aktuell und für jeden einzelnen Menschen persönlich bedeutsam sind. Die Lebenswissenschaften umfassen den großen interdisziplinären Komplex der gesamten Forschung über die Gesundheit und Krankheit des Menschen, sowohl im naturwissenschaftlichen als auch im psychosomatischen und ganzheitlichen Sinne. Sie sind daher ein Leitthema für die Wissensgesellschaft. Die Berliner Wissenschaft und damit auch die Charité kann, will und muss an dieser Entwicklung maßgeblich mitwirken.

Hierzu braucht eine Stadt wie Berlin jedoch mehr als nur einen „Masterplan für die Gesundheitsregion“ oder ein politisches Programm, um die Wirtschaft der Region anzukurbeln. Wir brauchen ein geistiges intellektuelles Fundament, das unerschütterlicher ist als Jahresbilanzen oder Parteiprogramme.

Berlin hat auf dem Gebiet der Wissenschaft einiges zu bieten: 17 Hochschulen, rund 135 000 Studierende, 70 Forschungsinstitute und viele private Forschungseinrichtungen. Alle großen Forschungsgemeinschaften sind in Berlin präsent. Mit der Zusammenlegung der medizinischen Fakultäten der Freien Universität und der Humboldt-Universität ist die „Charité – Universitätsmedizin Berlin“ entstanden. 15 000 Mitarbeiter und ein Etat von rund einer Milliarde Euro machen sie zur größten medizinischen Fakultät in Deutschland. Insgesamt sind in Wissenschaft und Forschung in Berlin rund 85 000 Menschen beschäftigt.

Eine solche Wissensgesellschaft braucht eine finanziell zuverlässige Grundlage. Wenn das Land Berlin selbst zu wenig Geld hat, um ausreichend aktive Wissenschafts- und Wirtschaftspolitik zu betreiben, dann muss es alles tun, um Kapital in die Stadt zu holen. Das heißt: Berlin braucht dringend ein noch wirtschaftsfreundlicheres Klima. Investoren dürfen nicht länger Bittsteller sein, sondern müssen willkommene Partner werden. Das klingt selbstverständlich, ist aber leider noch nicht die Realität. Positive Einzelfälle bestätigen nur das Grundproblem der zersplitterten Zuständigkeiten in Bezirk und Land und schwerfälliger Attitüden im Abgeordnetenhaus. Das kann sich Berlin schon lange nicht mehr leisten.

Privates Kapital muss nicht immer Privatisierung bedeuten. Kreative Lösungen sind gefragt. Die Verknüpfung von Wissenschaft und Wirtschaft ist zukünftig ohne öffentlich-private Partnerschaften nicht mehr denkbar. Hier müssen dringend Ressentiments abgebaut werden. Wissenschaft und Wirtschaft sollten sich in Berlin mit klaren und eindeutigen Spielregeln unterhaken.

Eine besondere Rolle kommt dabei dem Thema Gesundheit zu. Wenn wir die Wirtschaft ankurbeln und Arbeitsplätze schaffen wollen, müssen wir hier aktiv werden. Mehr als vier Millionen Menschen arbeiten im deutschen Gesundheitswesen. Trotzdem wird immer wieder kritisiert, dass Gesundheitsversorgung zu viel Geld kostet. Aber diese Ausgaben generieren auch Wirtschaftskraft. Allein in Berlin entspricht der Gesamtumsatz von 17 Milliarden Euro, die für Gesundheit ausgegeben werden, mehr als zehn Prozent der Wirtschaftsleistung. Der Gesundheitsmarkt ist der größte Wirtschaftsmarkt unserer Gesellschaft, mit deutlich steigender Tendenz, größer als die Automobilindustrie.

Berlin ist mit dem „Masterplan Gesundheitswirtschaft“ in die richtige Richtung aufgebrochen. Ziel ist es, die Hauptstadtregion zu „dem“ Gesundheitszentrum Deutschlands zu entwickeln. Die Universitäten, die Charité und die anderen großen Forschungseinrichtungen gemeinsam mit der forschenden Industrie müssen den Innovations- und Jobmotor der Gesundheitsstadt bilden. Die Stadt könnte zu einem Weltzentrum der Therapieforschung werden.

Das gesamte Gesundheitskonzept der Stadt Berlin wird aber nicht funktionieren, wenn wir nicht attraktiv für Unternehmen und für Mitarbeiter aller Berufs- und Altersgruppen werden. Hier gibt es zurzeit große Sorgen. Die Ärzteschaft weist zu Recht darauf hin, dass die Gehälter im europäischen Vergleich kaum noch konkurrenzfähig sind. In der Charité spiegelt sich mit den Ärztestreiks und der schwierigen finanziellen Situation verstärkt wider, was die gesamte Bundesrepublik charakterisiert. Trotzdem kann und muss die Reform der Charité gelingen, denn sie ist eine der bekanntesten Marken für die Gesundheitsstadt. Bei der klinischen Testung von Produkten für den Markt ist die Charité das wichtigste Glied in der Wertschöpfungskette.

Voraussetzung für den Erfolg ist, dass die Politik Handlungsfreiheit und Instrumente zur Verfügung stellt, um unternehmerisch handeln zu können. Dann können wir den Beweis erbringen, dass die Charité und andere Landesbetriebe in öffentlicher Trägerschaft wirtschaftlich erfolgreich sein können. Von der großen Zeit der weltweit führenden Berliner Medizin vor über 100 Jahren, mit Rudolf Virchow, Paul Ehrlich und Emil von Behring, profitieren Berlin und die deutsche Industrie noch heute. Das kam auch damals nicht zufällig. Wir müssen uns heute wieder auf das gemeinsame Ziel konzentrieren. Dann wird es gelingen.

Der Autor ist Vorstandsvorsitzender der Berliner Universitätsklinik Charité.

Detlev Ganten

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